Die extreme Rechte und das Recht: Wie völkisches Denken den Rechtsstaat angreift

Shownotes

Darum geht`s in dieser Episode

Was macht völkisches Rechtsdenken historisch und aktuell aus? Und wie werden Rechtsbegriffe strategisch umgedeutet, um rechtsstaatliche Prinzipien wie Gleichheit und Menschenwürde zu entleeren oder ins Gegenteil zu verkehren? Besonders im Fokus: die oft übersehene Wirksamkeit solcher Umdeutungen im einfachen Recht – etwa im Arbeitsrecht oder Mietrecht – also jenen Rechtsgebieten, die unser tägliches Zusammenleben strukturieren. Dabei geht es nicht nur um Angriffe auf das Verhältnis von Bürger:innen und Staat, sondern um tiefgreifende Versuche, gesellschaftliche Ungleichheit über das Recht zu legitimieren.

Zugleich beleuchteten wir die Frage, wie das Recht eigentlich funktioniert. Warum bietet es Auslegungsspielräume? Wie ermöglichen diese individuelle Gerechtigkeit? Und wie können sie missbraucht werden?

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Moderation: Marie-Elisabeth Miersch, Stiftung Forum Recht

Produktion und Redaktion: Das Team der Stiftung Forum Recht

Warum wir darüber sprechen

Juristische Themen haben oft das Image, schwer verständlich und hoch kompliziert zu sein. Dabei gehen viele Fragen des Rechts uns alle etwas an. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel: Sie ist ein Grundrecht, das allen Bürger:innen in Deutschland entsprechend unserer Verfassung zusteht. Warum kommt es dennoch vor, dass Gesetze erlassen werden, die dieses Grundrecht unter bestimmten Bedingungen einschränken?

Abwechselnd an den beiden Stiftungsstandorten Leipzig und Karlsruhe sowie zu stets wechselnden Themen laden wir alle interessierten Menschen ein, über Gesetzgebung, Rechtsausübung und Rechtsschutz zu diskutieren. „Let’s Talk About Recht“ bietet Einblicke in verschiedene Bereiche des Rechts und des Rechtsstaats und zeigt anhand von Beispielen aus der Praxis, wo und wie sie im Alltag wirken und welche Bedeutung sie für unsere Gesellschaft haben.

Shownotes

Was genau ius sanguinis bedeutet wird hier erklärt: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/glossar-migration-integration/270377/ius-sanguinis/

Was genau Ethnopluralismus bedeutet und wie der Begriff heute verwendet wird, könnt ihr hier nachlesen: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500773/ethnopluralismus/

Frauke Petry wollte 2016 das Wort „völkisch“ positiv besetzte. Was genau https://www.dw.com/de/afd-chefin-petry-will-begriff-aus-ns-zeit-positive-bedeutung-geben/a-19543158 Der Artikel 116 Grundgesetz, über das in dieser Folge gesprochen wird, könnt ihr hier im genauen Wortlaut vorlesen: https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_116.html

Herr Thiele erwähnt die Legitimationskettentheorie von Ernst-Wolfgang Böckenförde. Was diese Theorie beschreibt, findet ihr hier: https://katapult-magazin.de/de/artikel/politische-justiz

Mehr Hintergrundinformationen zur Lüth-Entscheidung findet ihr in diesem Artikel: https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/zeitzeichen-urteil-meinungsfreiheit-bundesverfassungsgericht-100.html

Was die ‘Kommission für einen handlungsfähigen Staat‘ genau macht und welche Ziele sie verfolgt, könnt ihr hier nachlesen: https://www.hertie-school.org/de/initiative-staatsreform

Foto A. Thiele: Bogdan Hinrichs

Transkript anzeigen

Transkript: Let`s Talk About Recht - Der Live-on-Tape Podcast zur GesprächsreiheFolge #6: Die extreme Rechte und das Recht: Wie völkisches Denken den Rechtsstaat angreift

Marie-Elisabeth Miersch:

Ein Hinweis vorab: Leider hatten wir bei der Aufzeichnung dieses Gesprächs technische Schwierigkeiten. Diese Folge hat deshalb leider nicht die gewohnte Tonqualität. Wir bitten um Verständnis und freuen uns, dass Sie trotzdem reinhören. Diese Folge gibt es, wie alle anderen, übrigens auch zum Nachlesen. Let's Talk About Recht: Der Life-on-Tape-Podcast zur Gesprächsreihe der Stiftung Forum Recht. Wir sprechen mit unseren Gästen über spannende Rechtsthemen, die ihnen in ihrer täglichen Arbeit begegnen und uns alle etwas angehen. Hallo und herzlich willkommen zu Let's Talk About Recht. Mein Name ist Marie-Elisabeth Miersch. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin hier bei der Stiftung Forum Recht. Und ich freue mich über jede einzelne und jeden einzelnen, der hier heute da ist, denn ich bin selbst gespannt auf die heutige Veranstaltung, weil mich die Einarbeitung in dieses Thema doch sehr beschäftigt hat in den letzten Wochen. Und das Thema wurde schon genannt. Wir sprechen über völkisches Rechtsdenken. Also wie dieses Denken bereits wieder in die Mitte unserer Gesellschaft eingedrungen ist, wie es das Recht umdeutet, wie es das verdreht, wie es das entleert und ja, auch woran wir diese völkische Eigenart in Äußerungen und in politischen Forderungen erkennen und wo diese Denkweise überhaupt ihren Ursprung hat. Und ich muss mich zum Glück nicht allein an dieses Thema wagen, sondern habe zwei ausgewiesene Experten an meiner Seite, die uns helfen werden, völkisches Denken anhand von Beispielen zu identifizieren und rechtlich einzuordnen. Und deshalb darf ich Prof. Dr. Uwe Puschner und Prof. Dr. Alexander Thiele bei uns begrüßen. Hallo und herzlichen Dank, dass Sie da sind. Diese Veranstaltung richtet sich, wie eigentlich alle unsere Veranstaltungen, an alle Interessierten, also nicht nur an ein juristisches Fachpublikum. Das sage ich deshalb, weil wir auch Begriffe noch mal erklären. Wir versuchen wirklich alles zu erklären, auch wenn wir uns freuen, wenn jetzt Rechtskundige unter Ihnen sind. Und besonders freuen wir, dass dieses Gespräch auch Teil unseres Live-on-Tape-Podcasts "Let's Talk about Recht" ist, damit wir es einfach einem noch größeren Publikum ermöglichen, die Eindrücke aus den Gesprächen mitzunehmen. Und weil wir jetzt schon Live-on-Tape sind, würde ich sagen, beginnen wir auch direkt. Aber ich möchte Ihnen vorher noch mal ganz kurz unsere Gäste genauer vorstellen. Fangen wir an mit Ihnen, Herr Puschner. Sie sind Historiker und Professor für neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin sowie bis 2020 Co-Leiter des Frankreich-Zentrums der Freien Uni gewesen. Sie nicken immer so ein bisschen ab, damit ich es richtig sag, Sie haben Germanistik und Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert und dort auch promoviert. Und Sie habilitierten 1998 an der Freien Uni mit der Studie 'Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich: Sprache, Rasse, Religion'. Ich erwähn es deshalb, weil es unseren ersten Hinweis vielleicht auf die Wurzeln des Denkens gibt, auf die wir dann noch später zu sprechen kommen. Und zu Ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die völkische Weltanschauung, Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert, Lebensreform und Jugendbewegung, Erinnerungskultur und deutsch-französische Geschichte. Und Sie sind ständiges Mitglied des Centre d‘Etudes Germaniques Interculturelles de Lorraine an der Université de Lorraine. Das war das Schlimmste in der Vorbereitung dieser Titel und Gastdozent an den Universitäten London in Kanada, Metz und Montpellier. Vielleicht an Sie als persönliche Eingangsfrage, wie sind Sie denn darauf gekommen, an dem Thema zu arbeiten, gerade auch für Ihre Habilitation?

Uwe Puschner:

Das ging im Studium los. Ich hab mich im Studium mit der jüdischen, am Ende meines Studiums mit der jüdischen Geschichte im Mittelalter beschäftigt, mit dem Antijudaismus und wollte dann über den Antisemitismus im 19. Jahrhundert weiterarbeiten. Und dann stieß ich bei der Vorbereitung und bei der Lektüre von Quellen auf den Begriff 'völkisch' im 19. Jahrhundert. Das hat mich stutzig gemacht. Und dann habe ich das einem meiner Mentoren vorgetragen, der eine ältere Generation… in den 20er Jahren geboren war. Und er hat gesagt, zu dem Thema ist alles gesagt. Und das hat meinen Ehrgeiz angestachelt. Ich war der Meinung, da war nichts gesagt, man weiß nichts darüber. Ja, und dann habe ich angefangen zu arbeiten und das begleitet mich seit dem Ende der 80er Jahre.

Marie-Elisabeth Miersch:

Sie sitzen heute hier, ist ganz wunderbar. Dann vielleicht ganz kurz zu Ihnen, Herr Thiele. Sie sind seit 2021 Professor für Staatstheorie und öffentliches Recht an der Business and Law School in Berlin. Ein einfacherer Name als das Centre. Wo Sie Prorektor für Forschung und Interdisziplinarität sind. Sie haben Jura an der Georg-August-Universität in Göttingen studiert und dort auch promoviert. Und nach Ihrer Habilitation zur Finanzaufsicht folgten dann zahlreiche Lehrstuhlvertretung, unter anderem in Bochum, Jena, Osnabrück, Göttingen, München, Augsburg, Berlin und Hannover. Und da wir heute über den deutschen Staat sprechen, sind Sie da, glaube ich, ganz gut, ganz gut informiert. In den letzten Jahren haben Sie vor allem zu Fragen der Demokratie und Staatstheorie geforscht und in diesem Bereich auch zahlreiche Bücher und Aufsätze veröffentlicht. Wie kam das bei Ihnen dazu, dass Sie also, wenn Leute meistens nichts mit Jura zu tun haben, dann denk ich mir, ein Strafrecht, Familienrecht ist vielleicht noch geläufig. Warum haben Sie gedacht, nee, das interessiert mich gar nicht so, ich möcht mich eher mit dem Staat und dem Recht dahinter beschäftigen.

Alexander Thiele:

Tatsächlich war es bei mir wie bei so vielen, die Jura studieren, eine gewisse Ahnungslosigkeit, auf was man sich da eigentlich einlässt, war jedenfalls nicht, nicht wenig ausgeprägt bei mir. Und ich hab auch gedacht, Staatsrecht, oder besser gesagt, ich hab gedacht, Strafrecht wird mich begleiten, also Mord und Totschlagen, ne, das Blutige, der Tatort am Wochenende, den man dann endlich bearbeiten kann. Aber schnell bin ich dem Staatsrecht verfallen, weil mich das Politische am Staatsrecht eben so gereizt hat. Und ich bin dem dann auch treu geblieben, hab dann auch an bei einem Professor gearbeitet, Werner Hoyen, der also die Staatstheorie, das Staatsrecht und die Staatslehre sehr interdisziplinär bedient hat und bin dem dann auch wirklich treu geblieben bis zuletzt und freu mich jetzt natürlich sehr, dass ich 'ne Professur in Berlin hab. Das macht die Sache grad für das Tagesgeschäft doch recht, ich will nicht sagen einfach, aber es erleichtert vieles, weil man sich dann eben doch ab und zu mal auf 'n Bierchen treffen kann, außerhalb der öffentlichen Foren.

Marie-Elisabeth Miersch:

Das ist schön. Ja, vielen Dank noch mal, dass Sie da sind. Zum eigentlichen Thema: Wer gehört eigentlich zum deutschen Volk? Diese Frage ist hochaktuell, hochaktueller denn je, nicht zuletzt, weil der Verfassungsschutz, die AfD als Bundesverband, jetzt auch den Landesverband in Brandenburg, inzwischen als gesichert rechtsextrem einstuft. auch mit Verweis auf ihren ethnisch-kulturellen Volksbegriff. Und wir sehen, völkisches Denken zeigt sich nicht nur in den Parteiprogrammen, sondern auch in ökologischen Siedlungsprojekten, in Verschwörungsnarrativen oder manchmal auch in ganz alltäglichen Situationen, wie der Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern, Impfverweigerung aus eugenischen Gründen oder auch dem Tierschutz. Und deshalb wollen wir zu Beginn klären, Herr Puschner, was bedeutet völkisch, was ist der Kern des völkischen Denkens.

Uwe Puschner:

Darf ich ein klein wenig ausholen?

Marie-Elisabeth Miersch:

Natürlich, das hab ich schon mit eingeplant für heute.

Uwe Puschner:

Also, Sie müssen jetzt nicht erwarten, dass jetzt eine Vorlesung kommt, aber ist mir wichtig. Also, der Begriff Völkisch ist eine Neuprägung im späten 19. Jahrhundert und kommt aus der Sprachbewegung der Zeit des späten 19. Jahrhunderts heraus. Nämlich der Verdeutschungsbewegung im Kampf gegen Fremdworte. Und das schlägt vielleicht auch eine Brücke zur Gegenwart. Das ist heute auch noch ganz aktuell der Kampf gegen das Fremdwort, weil mit dem Fremdwort auch ein fremdes Denken, fremder Geist verbunden wurde. Und da wurde aus dem Adjektiv 'national‘ 'völkisch'. Und es wurde sehr schnell zu einem politischen Kampfbegriff. Aber nicht im Deutschen Reich seinerzeit, sondern das hat zwar ein Deutscher erfunden, aber der hat es in Habsburgermonarchie populär gemacht, und zwar dort in der Alldeutschen Bewegung. Das waren diejenigen, die nach 1866 dafür optiert haben, dass das deutschsprachige Österreich sich ans Reich anschließen sollte. Und das ist eine besonders radikale Bewegung gewesen. Und von dort ist der Begriff dann im späten 19., also am Übergang zum 20. Jahrhundert, wieder ins Deutsche Reich importiert worden und wird dort auch zum politischen Schlagwort und Kampfbegriff. So, und worum geht es bei dem, bei dem Begriff. 'Völkisch' ist nicht nur das Adjektiv von Volk, sondern charakterisiert in ganz bestimmter Weise 'Volk'. Nämlich ein Volk, das mit ethnischen, insbesondere biologisch rassistischen Vorstellungen definiert wird. Und das hat natürlich weitläufige Konsequenzen, denn wer gehört dazu, wer gehört nicht dazu? Und das ist auch eine Eigenheit des Völkischen. Es ist im Dual angelegt, antagonistisch angelegt. Das heißt, es gibt das Gute, das Böse, das Richtige, das Falsche. Und kehren wir wieder zurück. Wer gehört dazu? Die Frage ist viel schwieriger zu beantworten als: Wer gehört nicht dazu? Das heißt, Ausschlusskriterien werden geschaffen und da spielt eine ganz zentrale Rolle der Antisemitismus. Das kann man als Integrationsideologien des Völkischen bezeichnen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, und das zieht sich ja, wie wir täglich betrüblich feststellen müssen, bis in die Gegenwart fort und fand zunächst seinen Höhepunkt im Nationalsozialismus. Es richtet sich auch sehr stark im Kaiserreich noch gegen die slawische Bevölkerung. Das setzt sich auch nach dem Ersten Weltkrieg fort. Dann, dieses Kaiserreich war Kolonialreich. Das richtet sich natürlich dann auch ganz explizit auch gegen die koloniale Bevölkerung. Und dann ist ganz zentral auch die Schaffung eines Staatsbürgerrechtes, was auf Exklusion angestellt ist. Das Jus sanguinis wird sehr stark von diesen Völkischen unterstützt und das wird ja dann auch zur Grundlage des deutschen Staatsbürgerrechtes. Und es geht um Ausschluss, das ist ganz wesentlich. Und zum anderen dann eben auch, aber das ist gar nicht so stark, um die Integration und die Bildung einer Volksgemeinschaft auf rassistischer Grundlage. Das sind so ein paar Grundlagen. Dann spielt in dem Zusammenhang Geschichte eine ganz zentrale Rolle und zwar die Schaffung einer genuinen Geschichte. Da spielt das Germanische eine ganz bedeutende Rolle und überhaupt eine Geschichtsinterpretation, das erleben wir ja heute auch wieder, nicht nur in Deutschland, wie wir, dass ich mir meine eigene Geschichte schaffe und die so interpretiere und zuschreibe, wie sie in meine Erzählung besonders gut hineinpasst. Auch als Rechtfertigungsideologie. Was ich bei dem Rassismus noch vergessen hatte, ist ganz wesentlich natürlich auch… wir haben ja, wenn wir von zwei Geschlechtern erstmal ausgehen, eine Geschlechterdichotomie. Der Mann steht über der Frau. Es gibt einen berühmten Rassenhygieniker um 1900, der sieht die Frau als eigene Rasse an. Also, das Prinzip der Ungleichheit wird auch zwischen den Geschlechtern festgestellt und markiert. Und das richtet sich auch dann natürlich gegen andere Sexualitäten, die als abnorm dargestellt werden. Und das macht sich dann im Rahmen der Rassenhygiene besonders bemerkbar. Das wird als unnatürlich und als angesehen, wird bekämpft. Und das finden wir ja dann auch im Euthanasie-Diskurs und in den Euthanasiemaßnahmen dann manifestiert. Was noch ein ganz wesentlicher Aspekt ist, der wird heute nicht so zur Sprache kommen hier, das ist die Religion. Dieses völkische Denken ist hochgradig religiös aufgeladen. Einmal im Sinne einer tatsächlichen Religion, da gibt es zwei Entwürfe. Das eine basiert auf einem arisierten Christentum, wie wir es dann im Nationalsozialismus mit den deutschen Christen kennen. oder mit dem sogenannten Neuheidentum auf germanischer Grundlage, dass wir auch heute noch beobachten können. Aber was ganz wesentlich ist, ist die Sakralisierung der Ideologie und der Weltanschauung. Also, die überzeugten Völkischen sehen sich als religiös Handelnde und daraus entsteht ein besonderer Extremismus und eine Radikalität im Handeln. So, das fürs Erste vielleicht mal.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich glaube, wir haben das aber auch gebraucht, gemeinsam als Einführung. Und Sie haben so viel schon vorweggenommen, dass ich mir dachte, dass vielleicht unsere Abstimmungsfrage hinfällt. Aber ich würde Sie glaube ich trotzdem bitten, ans Publikum. zu überlegen, halten Sie völkisches Denken für ein Problem in unserer Demokratie? Gerne mit Ja oder Nein antworten, einfach damit wir ein Stimmungsbild haben. Das ist ganz interessant. Ich muss das immer für unsere Podcast Zuhörenden ein bisschen aussprechen. Also wir haben eigentlich bis auf eine Nein-Stimme ausschließlich Ja-Stimmen oder doch ja, eine Nein-Stimme. Deswegen, Herr Thiele, vielleicht gucken wir uns mal das Rechtliche daran an. Was meint denn dann völkisches Rechtsdenken? Was unterscheidet dieses völkische Recht von so einem rechtsstaatlichen, menschenrechtsorientierten Recht?

Alexander Thiele:

Also, ich werde da auch noch mal ganz kurz ausholen. Nein, nein, tatsächlich ist das Problem des völkischen Denkens so ein Stück weit die Anschlussfähigkeit auch an den demokratischen Verfassungsstaat, jedenfalls von den Begrifflichkeiten erstmal. Denn auch im Grundgesetz steht ja Volk und wir zitieren das ja auch mit einer besonderen Energie, wenn wir davon sprechen: Demokratie ist doch: 'Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus'. Ja, und im Grundgesetz kommt an verschiedenen Stellen das deutsche Volk in der Präambel und in Artikel 20 das, was ich eben erwähnt hab, in Artikel 146 'Das deutsche Volk kann sich eine neue Verfassung geben'. Und der Begriff des Völkischen ist insofern sehr klug gewählt, weil er erstmal auf 'ne gewisse Art Unverdächtigkeit simulieren kann, in dem er sogar zum freiheitlichsten System, was wir kennen, nämlich dem demokratischen Verfassungsstaat, anschlussfähig scheint. Er ist es natürlich im Ergebnis aus den Gründen, die der Kollege gerade gesagt hat, nicht. Denn der demokratische Verfassungsstaat gibt sich mehrere Versprechen. Und ein Versprechen, das im Grunde die gesamte Rechtsordnung dann setzt, ist das Versprechen der gegenseitigen politischen Gleichheit. Die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger versprechen sich, wir sehen uns als kritisch gleich an, und zwar gemünzt auf ein formales Kriterium, ohne das auch der demokratische Verfassungsstaat aus historischen und auch aus theoretischen Gründen nicht auskommt, nämlich ein bestimmtes Zugehörigkeitskriterium, nämlich die Staatsangehörigkeit. Die brauchen wir schon, auch der demokratische Verfassungsstaat und deswegen erneut ist dieses Völkische auch erstmal auf den ersten Blick so 'n Stück weit anschlussfähig. Auch der demokratische Verfassungsstaat setzt auf Abgrenzung, nicht auf Ausgrenzung, aber auf Abgrenzung. Denn, wenn alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, ist es 'ne banale Erkenntnis, dass ich wissen muss, wer zum Volk gehört. Sonst kann ich gar nicht bestimmen, ob sie vom Volk ausgeht. Also braucht es Zugehörigkeitskriterien. Aber in der demokratischen Ordnung, wie wir sie kennen, ist eben und das ist der erste große fundamentale Unterschied, auch die Zugehörigkeit nicht vorgefertigt, also nicht natürlich, nicht vorzufinden, sondern formbar. Ist nicht absolut. sondern dem Diskurs geöffnet. Und das heißt, ich kann und muss als demokratische Ordnung. Übrigens ist das ein der Paradoxien einer demokratischen Ordnung, dass man eigentlich gar nicht genau bestimmen kann, wie man das eigentlich bestimmt, wer dazugehört, weil man eigentlich, um es bestimmen zu können, schon wissen müsste, wer dazugehört. Also deswegen hat sozusagen die natürliche Volkseinheit, historisch etwa in der Französischen Revolution, auch dazu beigetragen, dass Demokratien sich erst entwickeln und entstehen konnten.In der Französischen Revolution war die Frage, ob bin ich Franzose, eine geistige Frage eigentlich, ne? Die wurde geistig zugeschrieben. Auch Schiller war nach der Ansicht der Franzosen Franzose, weil er so revolutionär gedacht hat, ja und auch und andere auch. Die haben sich später davon abgewendet, aber das brauchte man am Anfang, so eine Art, irgendwie eine Vorfindlichkeit damit man erstmal Demokratie bauen kann. Aber heute der moderne Verfassungsstaat, wo dieser entstehungsgeschichtliche Prozess ja abgeschlossen ist, der beruht auf der Idee, dass ich über die Zugehörigkeit frei entscheiden kann und dass sie nicht vorgefunden wird. Und das ist der fundamentale Unterschied, das ist das, was mit dem Völkischen eben nicht vereinbar ist, mit dem demokratischen Verfassungsstaat, der, wie Sie grad richtig gesagt haben. von dieser quasi natürlichen Vorfindlichkeit ausgeht, nicht nur das, sogar von einer historischen Eindeutigkeit, auf die es im Grunde zuläuft, wenn man so will. Ja, die Geschichte wird ja, wir sehen das jetzt ja bei Putin, im Grunde in einer Form gelesen, die im Grunde auf ein bestimmtes auch noch zuläuft und klare Ausschlusskriterien vermeintlich benennt. Und im demokratischen Verfassungsstaat führt die Idee eines völkischen Denkens dazu, dass eben das zentrale Zugehörigkeitskriterium, was wir als einzig akzeptabel anerkennen, nämlich die Staatsangehörigkeit, zu einem ersten Zugehörigkeitskriterium wird, das aber gar nicht entscheidend ist. Anders gewendet, man kann Staatsangehöriger sein, also Deutscher, aber nicht zum Volk, weil man die weiteren Kriterien, die um die es eigentlich geht, nicht kennt. Man kann aber genauso gut die Staatsangehörigkeit nicht besitzen, aber gleichwohl nach der Ansicht der völkischen Ideologen zum deutschen Volk gehören. Das heißt, die Staatsangehörigkeit, das formale Kriterium, der Pass wird zur Nebensache, wenn man so will. Und das bedeutet natürlich für uns, wenn wir dieses völkische Denken zu Ende denken, dass dann automatisch Staatsangehörigkeiten erster und zweiter Klasse entstehen. Nämlich die, bei denen alles zusammenkommt, die sind natürlich deutsch, völkisch deutsch und Staatsangehörigkeit. Und dann gibt es die, die haben in Anführungsstrichen nur die deutsche Staatsangehörigkeit. Und dann haben wir kommen wir zu den Begrifflichkeiten, ja vielleicht noch, dass es diese Personen werden dann heute gerne als Passdeutsche verunglimpft und das ist damit gemeint. Und diese Hierarchie innerhalb der Staatsangehörigkeit, die ist eben mit der fundamentalen Idee der politischen Gleichheit aller nicht vereinbar. Und deswegen ist das völkische Denken tatsächlich ein Gegensatz zum demokratischen Verfassungsstaat, wie wir ihn heute verstehen, aber wegen Begrifflichkeiten und der bisweilen auch nicht völlig von der Hand zu weisenden Notwendigkeiten demokratischer Verfassungsstaaten, Stichwort Zugehörigkeitsmerkmale, anschlussfähig auf den ersten Blick und deswegen auch so gefährlich.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ihnen noch mal danke für die Einführung. Ja, aber zum Beispiel Frauke Petry, die fordert ja, wir sollen diesen Begriff ‘völkisch‘ endlich wieder positiv besetzen. Herr Puschner, war denn der Begriff auch schon von Anfang an immer negativ behaftet gewesen? Sie haben gesagt, der ist relativ schnell politisch geworden, aber war das so negativ?

Uwe Puschner:

Ja, für die Völkischen nicht. Muss ich auch ein klein bisschen ausholen und das differenzieren. Also in der Phase, in der ich der Begriff etabliert, ist auffallend, dass man diese Völkischen nicht ernst nimmt, sie ins Lächerliche auch zieht, weil man das für absurd hält, dieses Denken. Etwa, was Sie jetzt gerade ausgeführt haben mit der Staatsangehörigkeit. Die wollten eben eine Rücknahme der Staatsangehörigkeit für diejenigen, die nicht zum deutschen Volk gezählt wurden aus völkischer Sicht. Und mit manchen Vorstellungen, also wie man diese Volksgemeinschaft herstellte, das hat man ins Lächerliche gezogen. Nach dem Ersten Weltkrieg verändert sich das, als der Begriff auch populär wird. Und man fängt an, das auch ernst zu nehmen. Aber die ernsthaften Stimmen, die werden nicht so gehört. Das ist ganz erstaunlich. Die Intellektuellen und viele, ja, Gebildete, die können sich mit dem Völkischen Denken in Teilen zumindest arrangieren, nicht mit dem Radikalen, aber das nimmt man an. Um es jetzt auf den Punkt zu bringen, es war immer ein politisches Schlagwort und man kann das nicht schönreden, wie Frauke Petry das damals 2016 war das, mit großer Naivität versucht hat. Also, was man sagen kann, sprachgeschichtlich ist völkisch nicht das Adjektiv von Volk, sondern es müsste ‘volklich‘ heißen, aber. Das sind Spitzfindigkeiten, über die wir nicht reden müssen an dieser Stelle.

Alexander Thiele:

Wenn ich das, wenn ich da direkt anschließen kann, die Strategie der Neuen Rechten hat sich dementsprechend ja auch verändert, glaube ich, zumindest was das Sprachliche angeht. Das Völkische kann man eben auch aufgrund der N. S. Geschichte schwerlich noch ins Positive wenden und darauf hoffen, dass 'ne große Mehrheit in grade in Deutschland am Ende sich als völkisch definiert. Aber der Begriff des Ethnopluralismus, ist heute ja der Versuch, quasi für die gleiche Ideologie einen anderen Begriff zu finden, der vermeintlich viel harmloser klingt und viel, viel anschlussfähiger vielleicht auch ist, wer hätte denn was gegen Pluralismus, ne? Und 'n ethischen Pluralismus, das klingt doch erstmal sozusagen fast schon Vogue, ja. So, aber was damit gemeint ist, sozusagen, dass es bestimmte Ethnien, bestimmte Kulturen gibt, die eben für sich stehen müssen, aber es wird eben jetzt positiv gedreht. Man schützt doch damit jetzt sozusagen die eigene ebenso wie auch andere. Pluralismus, ja, wie andere, andere Völker und so weiter. Also es wird so versucht, das in eine Sprache zu bringen, die vielleicht heute leichter ins Positive gedreht werden kann. Es gibt, glaub ich, nur noch wenige, die offen, wirklich laut propagieren, dass sie völkisch unterwegs sind. Jedenfalls die, würd ich jetzt, also ich hab jetzt keine Statistiken, aber ich glaube, dass der Versuch erkannt wurde, dass der scheitert mit Frauke Petry. Das hat nicht funktioniert, aber die Ideologie ist dadurch nicht weg und schlummert heute unter dem Begriff des Ethnopluralismus.

Uwe Puschner:

Darf ich da auch anschließen, dass es Sie haben da auf zwei wichtige Probleme hingewiesen. Mir ist aufgefallen, also dass in diesem rechtspopulistischen Spektrum der Begriff in der Tat nicht verwendet wird oder ganz selten verwendet wird, auch um das Problem des Nationalsozialismus zu umgehen. Das habe ich vorhin nicht ausgeführt. Hitler lehnt den Begriff des Völkischen aus verschiedenen Gründen ab. aber er wird synonym für nationalsozialistisch und das haftet dem Begriff bis heute an. Und wir könnten jetzt hier eine Abstimmung machen, wenn ich, wenn ich am Anfang, wenn ich Sie am Anfang gefragt hätte, ist ein Unterschied zwischen völkisch und nationalsozialistisch, hätten die meisten wahrscheinlich gesagt, nein. Das ist das Problem. Ideologiegeschichtlich ist im Übrigen auch kein Unterschied, aber man kann einen Nationalsozialismus sozusagen so umschiffen heute, indem man den Begriff nicht wendet. Und zum Ethnopluralismus ist noch ein ganz wesentlicher Punkt, auch wenn ich den ergänzen darf, das heißt natürlich auch, einem Volk ist ein Raum gegeben. Volk und Raum, da sind wir bei Blut und Boden, sind eine Einheit und man hat nichts gegen andere Völker, aber die sollen gefälligst da bleiben, wo sie hingehören. Ja, das ist, um das so auf den Punkt zu bringen.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, wenn wir uns das noch mal jetzt aus der rechtlichen Perspektive anschauen: es gibt ja auch einige Staatsrechtler und eben nicht nur aus dem rechten Spektrum, sondern auch Renommierte, die sagen, die der Ansicht sind, dass so ein ethnisch geprägter Volksbegriff nicht per se oder eindeutig verfassungswidrig ist. Und da das Gutachten des Verfassungsschutzes zieht dann auch wieder so seine eigene Grenze und sagt, die Grenze ist an dem Punkt, an dem die Menschenwürde von der Volkszugehörigkeit abhängig gemacht wird. Wo verläuft denn da jetzt die Grenze? Also ab wann wird der denn dieser Begriff verfassungswidrig?

Alexander Thiele:

Ja, also das ist der ominöse Artikel 116 des Grundgesetzes, der so für ein bisschen Verwirrung bisweilen auch bei manchen Kollegen oder Kolleginnen, nee, eigentlich nur Kollegen sorgt. Unabhängig davon, was in Artikel 116 steht, möcht ich das noch mal ganz klar festhalten: Ein demokratischer Verfassungsstaat, der die Frage der Zugehörigkeit nicht zur demokratischen Frage erklärt, ist kein Verfassungsstaat, das möcht ich ganz deutlich sagen. Also das ist zentraler Aspekt der Zugehörigkeit. Ein demokratischer Verfassungsstaat muss ein zentraler Bestandteil der demokratischen Debatte sein und ein Staat, der sich zunehmend ethnisch verfestigt definiert, hat Schwierigkeiten, dieses dieses fundamentale Prinzip noch zu verwirklichen. Der Artikel 116 sagt das auch ganz klar, Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Das ist sozusagen das Kriterium, was ich erlauben muss, was sie auch brauchen. Man kann es nicht abschaffen. Also die Vorstellung, dass der demokratische Verfassungsstaat ohne Zugehörigkeitskriterien auskommen könnte, wie das manchmal so mit so wohlfeilen Ideen durchschimmert, das funktioniert nicht, das ist jedenfalls keine demokratische Ordnung mehr. Der 116 hat aber auch, ich sag mal, ist vielleicht zu hart, jetzt völkisch angehauchte Passagen, die schlicht und ergreifend dem Umstand geschuldet waren, dass wir damals nach dem Zweiten Weltkrieg natürlich fundamental große Teile von Gebieten verloren haben, wo Menschen waren, die ausgebürgert waren von den Nazis, ja, die aber da jetzt waren und vielleicht zurück wollten und die Frage, wie gehen wir mit solchen Leuten um, wollen wir die wirklich irgendwie erst hierherkommen lassen und dann müssen sie 8 Jahre hier leben und dann können sie vielleicht irgendwann mal die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen oder müssen wir da nicht 'ne Lösung finden, die irgendwie. dieses Unrecht, was ihnen angetan wurde, sofort wieder auch beseitigt, ja, indem man sagt, ihr kommt zurück und dann seid ihr Deutsch, ist doch klar. Nur konnte man die Staatsangehörigkeit nicht nutzen, die hatte man ihnen ja weggenommen, die hatten sie nicht mehr und deswegen muss man da irgendwie ein Kriterium finden, wie man die wieder zu Deutschen macht, ist aber, wenn man so will, ein Übergangsproblem gewesen, ja, das wird sich irgendwann lösen, das ist ein Problem mit Zeitablauf, einfach, ja. Daraus zu schließen, dass wir eine Offenheit für den ethnischen Volksbegriff im Gesetz haben, völlig fehlt. Und das sehen wir auch im Staatsangehörigen Angehörigkeitsrecht, wie wir es haben. Es gibt eben im Staatsangehörigkeitsrecht klassisch drei Möglichkeiten, wie man eine Staatsangehörigkeit vergeben kann. Sie haben es angesprochen. Die Völkischen haben 'ne klare Präferenz für das ius sanguinis, also für das Blutsrecht, wenn man so will, also das Abstammungsrecht. Dann gibt es das ius soli, was insbesondere bei Einwanderungsstaaten wie etwa den USA von großer Verbreitung ist, was Kollegen Trump jetzt ja mittlerweile auch stört. der ja zunehmend auch anders denkt und deswegen diesen Verfassungszusatz gerne weg hätte. Und dann gibt's die Kombination aus beidem und dann gibt's die klassische Einbürgerung. So die Einbürgerung, die also nicht auf die Geburt irgendwie abstellt, sondern auf andere Kriterien, wie meistens zeitlicher Aufenthalt plus gewisse Kenntnisse und Sprache und so weiter. Das sind die klassischen 3 Möglichkeiten. Die sind aber eben verhandelbar und die sind auch in Deutschland verhandelbar. Also wir haben 'ne Mischung aus ius soli und sanguini. Wir haben so 'ne Kombination und wir haben auch Einbürgerungsmöglichkeiten, die immer wieder umstritten sind. Wir sehen es auch jetzt politisch. Der CDU war es ja ein großes Anliegen, das sozusagen Turbo-Einbürgerungsrecht wieder zurückzunehmen und so und so muss es sein. Wir müssen über so, also es muss nicht so sein, wie die CDU es sagt, sondern über die Frage, wer zu uns gehört, diskutieren. Aber der Umstand, dass wir darüber überhaupt diskutieren können, ist eben schon etwas, was völkische Personen völlig ablehnen würden. Das heißt, ich kann das nicht diskutieren, wir kommen gleich noch an einer anderen Stelle dazu, wer zum Volk gehört, das kann ich nur erkennen. Ja, ich kann nur erkennen, wer zum Volk gehört, aufgrund bestimmter Marker, die natürlich witzigerweise vorher auch gesetzt werden von jemanden, der das bestimmt, welche Marker das nun sein wollen und meistens historische Geschehnisse, die ich mir dann zurechtbiege, damit sie passen. Aber ich kann es nicht gestalten und diese Ungestaltbarkeit lehnt das Grundgesetz in dieser Frage eindeutig ab. Die Staatsangehörigkeit ist politisch gestaltbar und in gewissen Grenzen auch allerdings dann wieder auch nicht gestaltbar, denn da, wo sie dann die Menschenwürde verletzen würde, hört es eben auch auf.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, danke schön. Ich würde gerne, dass wir so langsam uns an diese Begrifflichkeiten rantasten, und wir haben einige davon jetzt schon erwähnt, wie Passdeutsche, Remigration vielleicht noch mal an Sie, Herr Puschner. Sie haben ja in unserem Vorgespräch gesagt, Sie können natürlich jetzt keine Analyse der Gegenwart hier vornehmen, aber Sie beobachten auch und Sie beobachten aus Ihrer langjährigen Forschung, aus dieser Expertise, wo das Völkische vielleicht auch heute wieder präsent wird. Können Sie diese Beobachtungen mit uns teilen? Sind es nicht dieselben Ausschlusslogiken, die wir schon in der Geschichte beobachtet haben.

Uwe Puschner:

Ja, also was mir in jüngerer Zeit jetzt aufgefallen ist, sind Vokabeln wie 'Lügenpresse'. Das kenn ich aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg schon. Also Generalangriffe gegen die Presse und gegen bestimmte Medien damals waren es liberale und sozialdemokratische Medien. Und was bei den Völkischen vor dem Ersten Weltkrieg eine große Rolle spielt, war ein ganz starker Antikatholizismus. Also es ging dann auch noch gegen die katholische Presse. Also da hätten wir einfach so eine Denkfigur. Was mir auch auffällt, das sind die Verschwörungserzählungen. Man verwendet häufig den Begriff Verschwörungstheorie, der unsinnig ist. Theorie ist mit Wissenschaft verbunden und Ovulationen. Das sind Erzählungen, das ist auch was Ureigenes, was wir bei den Völkischen immer wieder feststellen, auf allen möglichen Ebenen. Und damit kann man auch sehr leicht Bevölkerung fangen, einzelne einfangen, weil das vereinfachte Erzählungen sind. Nach dem Muster Gut und Böse laufen die ab. Und damit hängt zusammen, das ist eine weitere Beobachtung, so was verfängt immer ganz intensiv in Zeiten von Umbrüchen und Krisen, die Ängste erzeugen, Individualängste, wir alle haben. Und wenn dann Feindbilder beschrieben werden und die mit solchen Erzählungen verstärkt werden, dann werden hier scheinbare Kanalisationen geschaffen, die aber fatal sind für Gesellschaften, weil sie nämlich Zwietracht sehen, weil sie Gesellschaften auseinandernehmen und, wie wir in den 20er Jahren gesehen haben, eben auch zur Zerstörung von Staat geführt haben. Des Staates, des demokratischen Staates. Und da kann ich noch eins anknüpfen, als diese Völkischen, vor dem ersten Weltkrieg haben sie es noch abgelehnt, Parteien zu bilden und in Parlamente zu gehen, als die dann in den Reichstag, in die Länderparlamente reingegangen sind, dann sind sie da reingegangen, um die Parlamente, um den Parlamentarismus, um den demokratischen Staat zu zerstören. Das war der Antrieb, waren die Antriebskräfte und das hat letztlich dann der Nationalsozialismus nach 1925 übernommen. So ein paar wenige Beobachtungen. Ich kann noch anführen, die die heutige Siedlungsbewegung, Sie haben sie erwähnt, die in Teilen Deutschlands sehr stark ausgeprägt ist. Das ist auch was Genuines schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen und Vordenker eines Flügels davon fabulierten, dass man eben dann gallische Dörfer errichten muss, von denen aus die Erneuerung Deutschlands beginnt, dann sehe ich hier einen Connect, einen ideengeschichtlichen zumindest und weltanschaulichen.

Marie-Elisabeth Miersch:

Jetzt, wo Sie das gesagt haben, wäre es eigentlich interessant zu sehen, wie diese Begriffe, diese Deutung ins Recht eingeschleust werden. Und da muss ich vielleicht heute ein bisschen ausholen, ganz kurz. Ein Schlüssel für diese Umdeutung sind sogenannte Generalklauseln oder offene unbestimmte Rechtsbegriffe, wie, kennen Sie auch, ‘gute Sitten‘, ‘Treu und Glauben‘, die wir auch in unseren Gesetzen haben. Und sie sind ja auch eigentlich sinnvoll, weil das Gesetz nicht jeden Einzelfall, wenn Sie ein Problem mit Ihrem Nachbarn haben oder so, regeln kann, sondern diese Generalklauseln geben den Gerichten ja auch Spielraum, um fair situationsgerecht zu entscheiden. Und genau dieser Spielraum macht Sie ja aber so gefährlich. Und auch wenn wir nicht immer diese Parallelen zum Nationalsozialismus so einfach ziehen können, ist es da, glaube ich, vielleicht ganz angebracht, weil eben genau da sich ja gezeigt hat, es haben sich viele Gesetze geändert, aber es musste nicht so sein. Die Gesetze mussten sich nicht ändern. Die Nationalsozialisten bedienten sich ja einer Vielzahl von diesen auch schwer zu ertragenden Umdeutungen im Sinne der Ideologie. Also Begriffe zum Beispiel wie ‘gesundes Volksempfinden‘. Was ganz harmlos erstmal auch klingen mag, wenn man nämlich den Kontext nicht hat, sondern nach nur von den Begrifflichkeiten ausgeht und doch Maßstab war für Richterinnen und Richter, Richter, ich glaube, da muss ich nicht gendern, was Recht oder Unrecht eben sei. Da gibt es noch mehr Beispiele von Schädlingen für Inhaftierung. Und zum Beispiel Carl Schmidt, das war damals 'nen Staatsrechtler, bis heute ja noch umstritten, hat auch zu der Zeit ganz viele hohe Positionen gehabt in der Nazijustiz. Der formulierte es 1934 nämlich so: „Es ändert sich in der Tat das gesamte Recht, ohne dass ein einziges Gesetz geändert zu werden brauchte. Ich bin deshalb der Überzeugung, dass ich in diesen Generalklauseln eine neue juristische Denkweise durchsetzen kann.“ Und das hat es ja auch. Man sieht das ganz eindrücklich im Fall der Frankfurter Jüdin Alice Bioff. Die hatte einen ganz normalen Darlehensvertrag abgeschlossen und der wurde 1938 für sittenwidrig erklärt. Sittenwidrigkeit kennen wir heute auch in unseren Gesetzen. Und die Begründung war, weil sie mit einem Arier zusammen war. Und nicht, weil irgendein Gesetz geändert worden wäre, sondern weil ein Richter den offenen Begriff dieser Sittenwidrigkeit, diesen unbestimmten Rechtsvorgriff, was fällt denn eigentlich da drunter, alles im Sinne dieser nationalsozialistischen Ideologie umgedeutet hat. Und diese Beispiele sind unendlich. Also Auslegung, diese juristische Auslegung von Rechtsbegriffen drang ja damit in den Alltag und zerstörte Leben, ohne dass eben Gesetze geändert werden mussten. Meine Einleitung zu der Frage an Sie. Können Sie uns noch mal so allgemein erklären? Das ist ja immer schwer für, vor allem für Nicht-Juristen zu verstehen, wie wir arbeiten, wie ist die Interpretation von solchen Gesetzen und Rechtsbegriffen und wann, ab welchem Punkt ist es keine Auslegung mehr, sondern wird sie zur Einlegung, zur Umdeutung.

Alexander Thiele:

Wenn wir das wüssten, dann wäre das sehr gut. Wir wissen es leider nicht. Weil die juristische Methodik da tatsächlich eine offene Flanke generell einfach hat. Das hat sie bis heute und wir sehen das heute auch in umstrittenen Verfassungsgerichtsentscheidungen, wo man sich auch manchmal so fragen kann, wo kommt das eigentlich alles her? Jetzt, ich will das auf gar keinen Fall vergleichen mit irgendwas von dem, was Sie gerade gesagt haben. Aber jetzt, um die Problematik juristischer Auslegung mal zu verdeutlichen, kann man das, glaube ich, sehen, wenn Sie mal ins Grundgesetz hineinschauen. Darf ich auch eine Umfrage spontan machen? Wer von Ihnen hat denn das Grundgesetz schon mal ganz gelesen?

Marie-Elisabeth Miersch:

Raunen. Ach, ich sag es wieder ein bisschen für ein Podcast, dass es eigentlich sehr ausgeglichen ist, würde ich sagen.

Alexander Thiele:

Ja, und wer von Ihnen findet das Grundgesetz also gut? Also, wer würde sagen, ist eine gute Verfassung.

Marie-Elisabeth Miersch:

Dürfen wir auch mit abstimmen?

Alexander Thiele:

Das ist etwas, was ich sehr häufig mache, um zu zeigen, dass das eigentlich eine gute Antwort ist, um zu sehen, wie es eigentlich um einen Staat so steht.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ach so, ich habe jetzt vergessen zu sagen, die meisten haben mit Ja gestimmt. Alexander Thiele:

Fast alle haben jetzt bei der ersten Frage war es so fifty-fifty, würde ich sagen, bei der zweiten war es eigentlich fast 100 Prozent. Was ja interessant ist, wenn man darüber nachdenkt, denn die, die da mit Ja gestimmt haben, zum Teil haben es ja noch nie gelesen, ne? Ist ja interessant, eigentlich das mal zur Kenntnis zu nehmen. Das ist aber eigentlich ein gutes Zeichen. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen für eine Verfassungsordnung, weil es eben für eine gute, funktionierende Verfassungsordnung nicht notwendig ist, dass alle sich ständig mit ihr beschäftigen. Das machen wir schon und das ist auch manchmal vielleicht ein bisschen viel. Sie haben einfach ein Gefühl, das ist eine gute Verfassung, das reicht. Der Umstand, dass wir jetzt wieder ständig, dass ich eingeladen werde, ständig zu erklären, was steht denn im Grundgesetz so drin, im Artikel 116 was ist denn jetzt eigentlich genau mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung, ist eigentlich schon für sich genommen ein Alarmsignal. weil wir erst jetzt darüber reden, weil es offensichtlich Grund gibt, darüber zu sprechen. So, das will ich nur mal vorwegsagen, das sollte man sich klar machen. Deswegen ist es vielleicht aber auch jetzt umso wichtiger, sich noch mal mit dem Grundgesetz vertraut zu machen. Es gibt da so eine kleine Reclam-Einführung, das möchte ich nur an der Stelle erwähnen, die demnächst in zweiter Auflage erscheint. So, aber wie arbeiten wir? Was ich damit nur sagen wollte, das Grundgesetz gelesen hätten, was ja viele haben, manche werden es jetzt nachholen, dann würden Sie sehen, dass dort sehr offene Begriffe, sehr viel mehr als in den Bereichen, die Sie grad genannt haben, vorhanden sind. Da geht es um so Großkampfbegriffe wie Demokratie, Sozialstaat, Rechtsstaat, Normallage bei der Schuldenbremse, Bereich, wo ich ein kleines Kind bin. Also viele Bereiche, die ganz offen sind, völlig unklar. Und wie machen die Juristinnen und Juristen das jetzt eigentlich? Also, woher weiß ich jetzt, was da drin steht? Und die Antwort ist echt eine schwere Frage, ehrlich gesagt. Wir schauen dann in die Entstehungsgeschichte der Norm. was die uns dazu gesagt, was haben die damals vielleicht gedacht. Das spielt aber fast keine Rolle beim Verfassungsrecht, bei uns, in den USA ist es anders, weil wir sagen, ja, aber das ist doch die Verfassung für heute. Ich muss doch mit der heutigen Gesellschaft irgendwie eine Rahmenordnung finden. Da ist es ja wenig hilfreich, wenn ich die Werteordnung der 50er Jahre nehme, weil die, wie wir wissen, völlig unterschiedlich sind. Deswegen legen wir da eigentlich gar nicht so einen großen Wert drauf als Juristinnen und Juristen in Deutschland. In den USA ist es aus vielen Gründen anders und wir sehen, was dabei rauskommt, vielleicht beim Supreme Court. Wir schauen eher auf die sogenannte teleologische Auslegung, also den Sinn und Zweck der Norm. Das hilft Ihnen bei manchen Normen weiter, bei vielen aber auch eigentlich nur so wenig. Also, wenn Sie sagen, Demokratie, ja, ist denn Demokratie? Und da sehen Sie bei Demokratie zum Beispiel, kommt in ungeheurer Weise bei der Auslegung dazu, wie ich mir als Ausleger Demokratie vorstelle. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Sie können mit einem, sozusagen, sie gehen nicht neutral an eine Norm ran, sondern Sie müssen, Sie haben immer irgendein Vorverständnis und eine Idee, eine Vorstellung. Und das schockiert immer viele Nicht-Juristinnen und Nicht-Juristen und viele Juristen übrigens auch, wenn man dann sieht, was das natürlich auch für eine besondere Freiheit für das Bundesverfassungsgericht beispielsweise auch bewirkt. Wir haben heute eine sogenannte herrschende Demokratietheorie, die steht aber nicht im Grundgesetz, sondern die geht auf Ernst Wolfgang Böckenförde zurück, der mit seiner Kettentheorie, ja, einen Entwurf in Artikel 20 hineingelesen hat, mit dem wir bis heute gut leben, der auch Probleme hat, aber mit dem wir eigentlich sozusagen umgehen. Das heißt, die Freiheit der Gerichte bei unbestimmten Rechtsbegriffen ist doch sehr ausgeprägt und wir brauchen ein großes Vertrauen in die Instanzen, dass sie mit dieser Macht, dieser Fähigkeit, nicht in einer Art und Weise umgehen, die problematisch ist. Das passiert aber immer wieder und das soll übrigens auch ab und zu mal passieren. Das macht die Sache noch komplizierter, denn weil wir eine wandelnde Gesellschaft sind, wollen wir auch, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe unterschiedlich ausgelegt werden. Wir wollen ja nicht bei Sittenwidrigkeit, Sie haben es angesprochen, das Verständnis von Sittenwidrigkeit der 50er Jahre in eine heute Norm reinlesen, wenn es darum geht, wie wir zum Beispiel Beziehungen bewerten oder das Verhalten in Beziehungen oder so ähnlich. Um Gottes willen, das wollen wir auf gar keinen Fall. Ohne die Norm zu ändern, müssen wir also den Begriff der Sittenwidrigkeit dynamisch den Vorstellungen in der Mehrheitsgesellschaft anpassen, ohne dabei aber die Minderheiten pauschal zu unterdrücken und deren Perspektive nicht zu berücksichtigen. So, Beispiel zur Sittenwidrigkeit. Ende der 50er Jahre gab es einen Herrn Lüth, die berühmte Entscheidung, die Lüth-Entscheidung, die Sie heute mitnehmen können, ja, die Lüth-Entscheidung. Ein Herr Lüth, der hatte aufgerufen zu dem Boykott eines Filmes. Boykott eines Filmes, und zwar von Veit Harlan, ein Regisseur, der in der im NS in der NS-Zeit Karriere gemacht hätte. Und ein ganz fürchterlicher Film war sein Propagandahetzfilm 'Jud Süß'. also ein ganz fürchterlicher Regisseur, der dann einfach, als sozusagen die deutsche Demokratie kam, 1949 gesagt hat, ich mach einfach weiter, ne, und hat dann so Filme gedreht und hat es weitergemacht. Und Herr Lüth fand das ungeheuerlich und hat gesagt, das kann ja wohl nicht wahr sein und hat zum Boykott eines Filmes aufgerufen, der in den 50er Jahren von Veit Harlan produziert worden war. Und das fand wiederum natürlich Veit Harlan nicht so gut. Er ging zum Landgericht und da war die Frage, ist das eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung des Veit Harlan, wenn ich zum Boykott aufrufe? Und die Instanzgerichte haben, ganz wie es ihrer Tradition entsprach, gesagt, na ja, also du machst hier Geschäftsschädigung, bewusst bei dieser Person, ne, der will seinen Film verkaufen und vermarkten, du verhinderst das, das ist sittenwidrig. Und Lüth hat also in der ersten Instanz verloren, hat auch beim BGH verloren, bis zum Schluss hat der BGH gesagt, sittenwidrig. Und dann kam das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverfassungsgericht hat jetzt damals schon mit nicht NS-behafteten Richtern besetzt muss man sagen, den Begriff der Sittenwidrigkeit vor dem Hintergrund der gewandelten demokratischen Verhältnisse völlig anders ausgelegt. Es hat gesagt, dass die freie geistige Auseinandersetzung und der Aufruf, frei darüber zu entscheiden, ob man zu einem Film gehen soll oder nicht, selbstverständlich eine fundamentale Voraussetzung einer freiheitliche demokratischen Ordnung ist, hat gesagt, das ist gedeckt von der Meinungsfreiheit, die ist schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung und jedenfalls jetzt kann ein solches Verhalten unter keinen Umständen im einfachen Recht als sittenwidrig angesehen werden. Zack, fundamentale Veränderung zu der Vergangenheit. Lüth hat gewonnen, am Ende, ja. Und aber alles aufgehängt an einem Begriff, den wir seit wahrscheinlich hunderten von Jahren schon kannten, nämlich den Begriff der Sittenwidrigkeit, der sich aber ständig ändert. Und da würden wir sagen: 'Ja, gut, dass das Gericht das gemacht hat.' Aber es zeigt natürlich andersherum das große Problem und die Einfallstore, wenn man mit einer anderen Vorstellung jetzt da wieder reingeht und diese Begriffe wieder anders interpretiert. Diese Möglichkeit gibt es, das ist dann nicht per se falsch, aber es ist eine Möglichkeit, eine Rechtsordnung vom Kopf auf die Füße zu stellen in bestimmten Bereichen, ohne dass man methodisch vorwerfbar das von vornherein als unzulässig ansehen könnte. Und das ist das große Problem und diese methodische Unsicherheit bleibt, werden wir nicht lösen und damit müssen wir als Juristinnen und Juristen umgehen.

Marie-Elisabeth Miersch:

Danke für das eindrückliche Beispiel. Ich möcht nur ganz kurz auf die Gefahr noch mal zu sprechen kommen, weil diese Reframings, wir hatten das heute ja schon in einigen Beispielen, Die erleben wir auch heute, also diese Debatte. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, um den „starken Staat“. Das war jetzt so im letzten, in der letzten Wahl, in dem Wahlprogramm, was viel gefordert wurde. Und also, dass sozusagen die Politik geworben hat für mehr Polizei, schnellere Verfahren, härteres Durchgreifen. Heute klingt starker Staat ja auch nach kürzeren Verfahren noch. Also, wer könnte da schon erstmal dagegen sein? Und aber auch hier wird, wenn wir unter diesem Überbegriff des Rechtsstaates das sehen, wird ja der Rechtsstaat auch wieder umgedeutet. Wir geben ihm auch wieder eine ganz andere Bedeutung weg von dieser eigentlichen Begrenzung staatlicher Macht hin zu eigentlich mehr Macht für den Staat, dass es so verquer ist. Und das Tückische ist doch auch, so habe ich es verstanden, dass solche Umdeutungen, die kommen selten in einem Knall. Und dass wir sagen, heute haben wir diesen neuen Begriff und Rechtsstaat finden wir, klingt heute mehr eben nach mehr Machtausübung, sondern dass das sich schleichend vollzieht und doch die Frage ist und ich weiß, die ist schwierig so abzusagen, ab wann kippt das jetzt genau, aber ab wann verschiebt sich dieser Fokus so sehr, dass am Ende eben nicht mehr die Freiheit auch bleibt, darüber zu diskutieren und hier zu sitzen, sondern dass eben diese Macht im Zentrum steht und vielleicht haben Sie da noch mal 'ne Idee, welche. Beispiele, welche Begriffe sind denn noch so Einfallstore? Sie haben vorhin die Staatsangehörigkeit genannt für genau diese Ideologie, damit wir auch wissen, ab wann wir hellhörig werden müssen.

Alexander Thiele:

Also vielleicht ein Satz zum Rechtsstaat. Das ist ein Phänomen, das hat mit dem Völkischen jetzt erstmal relativ wenig zu tun. Das ist einfach eine Feststellung, die man eigentlich schon seit 40, 50 Jahren machen kann. Der Rechtsstaat wird immer falsch rum gedeutet in der Öffentlichkeit. Es heißt immer, da müssen wir mit der Härte des Rechtsstaats jetzt vorgehen und so, die Strafe muss den Rechtsstaat ausnutzen. Das ist eine völlige Verdrehung dessen, was Rechtsstaat eigentlich bedeutet, nämlich das Entgegenstemmen gegen staatliche Macht. Ausdruck des Rechtsstaats sind insbesondere die Grundrechte, die gerade verhindern sollen, dass der Staat übergriffig wird. In der öffentlichen Debatte wird der Begriff völlig. verquer verwendet, aber das ist keine neue Entwicklung, das haben wir schon fast immer gehabt. Ich würde sagen, hellhörig müssen wir dann werden, wenn… also wir haben ja das Problem erneut, dass diese Debatte partiell anschlussfähig ist. Sehen wir daran, dass wir ja gerade auch eine Kommission haben, die nennt sich Kommission für den handlungsfähigen Staat, ja, und besetzt mit Herrn Voßkuhle und Frau Jäckel und Herrn de Maizière und so, ja, die also sagen, ne, wir müssen den Staat auch so ein bisschen reformieren und die würden jetzt sagen, die Rechten, wir wollen doch nichts anderes. Und das heißt, da ist 'n bisschen was dran. Aber wo an der Stelle müssen wir hellhörig werden, wo der Reformeifer zeigt, dass es eigentlich darum geht, typische parlamentarische und demokratische Strukturen zu unterlaufen, weil die vermeintlich doch eh nichts bringen. Ja, also das typisch Völkische ist ja auch beim Volkswillen, der bildet sich ja nicht im Parlament, sondern auch den Volkswillen brauch ich doch nur erkennen, der liegt Straße, was das Volk will. Wir kennen diese Debatte, ja, dass ständig das Volk in das Parlament ausgespielt wird. Also, es wird gesagt, das Volk will doch eigentlich X. und deswegen sind die, ist die AfD auch vermeintlich für, für ganz viel Volksbegehren und so, weil das Volk muss doch endlich mal sprechen und im Parlament bildet sich doch kein Volkswille, sondern da sind irgendwie diese Eliten, die da so sitzen und so weiter. Und deswegen wird versucht, bei dieser Staatsmodernisierung, diesen Ideen, eben das Parlament irgendwie klein zu machen, weil das, wie, wie, wie damals in der NS-Zeit schon gesagt wurde, das ist ja eine Quasselbude, die im Grunde nur verfälscht. Ja, der Volkswillen muss doch gar nicht gebildet werden, ich muss ihn nur erkennen. Das war ja auch der Hintergrund, warum der Führer im Grunde kein Parlament brauchte, weil der Führer hatte erkannt, was das Volk will. Ja, Herr Huber, damals ein großer Verfassungsrechtler, hat gesagt: 'Ja, und der erkennt das so gut, der weiß das sogar besser als das Volk. Wenn also in einer Abstimmung das Volk X. sagt und der Führer sagt ein Y. ist besser, dann gewinnt der Führer, weil er es noch besser erkennt.' Ja, so, das heißt, wir müssen dann hellhörig werden, wenn diese parlamentarischen Strukturen, diese institutionalisierte Langsamkeit, die wir zugunsten eines vermeintlich effektiven, schnellen Entscheidens nicht einfach aufgeben können. Wir können da besser werden und müssen da besser werden, absolut. Aber in der Sekunde, wo wir das sozusagen kippen lassen, hin zu das ist alles so zäh, das ist alles so langsam, das ist alles so wahnsinnig retardierend, dann müssen wir sagen, Moment, das ist die Idee der demokratischen Ordnung. Die ist kein wendiges Schnellboot, die ist ein Tanker, das nervt manchmal, keine Frage. Aber schnell, sag ich meinen Studierenden immer, geht es nur in Peking. Da geht es ganz schnell. Dann kommt die Wirtschaft und sagt, wieso konnten die denn da so schnell so einen Transrapid bauen? Ja, weil da keiner gefragt wurde. Die haben das einfach gebaut und sie glauben doch nicht im Ernst, dass wenn sich da einer auf die Straße gesetzt hätte, auf die Schienen festgekettet, dass der Zug dann angehalten hätte. Also, der wäre einfach weitergefahren. Das wäre gar keine Nachricht gewesen. Das müssen wir kommunizieren. Das heißt nicht, dass wir nicht besser werden können, dieser handlungsfähige Staat. Na klar, wir müssen da Dinge verändern, aber dass wir diese fundamentale Idee dessen, was Demokratie ausmacht, mit all ihren Widrigkeiten, Christoph Möllers aus Berlin spricht, spricht gerne mal von der Zumutung der Demokratie, das ist genau richtig, das ist eine Zumutung eigentlich, weil ich weiß, es ist doch auch immer alles viel besser, ja, sogar bezahlt bisweilen, ja. Aber das Aushalten des anderen und in seiner Andersartigkeit ist eine, also ist eine ungehörige Zumutung, muss man sagen. die auszuhalten, aber eine Notwendigkeit ist für das Funktionieren der demokratischen Ordnung. Und diese Zumutungen, die wollen die überwinden, und zwar ersatzlos, weil sie sagen, es muss doch einfach nur so gemacht werden. Deswegen ist manchmal auch so dieser Spruch von Herrn Linnemann, ne, „einfach mal machen“, bin ich auch nicht glücklich mit, ehrlich gesagt. Wenn man sowas dann einfach so propagiert, denn „einfach mal machen“, haben wir eigentlich, wollten wir eigentlich nicht mehr.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, und selbst als Demokratin wird einem ja auch viel zugemutet. Also das ist ja die Kehrseite dann davon. Noch ein Beispiel, und zwar Jean-Pascal Hohm, rechtsextremer Politiker im Brandenburger Landtag, derzeit im Gespräch, weil er eventuell die neue AfD-Jugend führen soll, sagte letztens in einem Interview einer großen Wochenzeitung: „Dass ich einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff vertrete, könne man kritisieren, aber ich sehe mich deswegen nicht als Rechtsextremist.“ Und das hab ich irgendwie in der Badewanne so gelesen und dann ist das so nachgehallt. Also, Herr Hom spricht ja selbst einen Zusammenhang zwischen dem ethnisch-kulturellen Volksbegriff als integralen Bestandteil des völkischen Denkens und Rechtsextremismus an. Deshalb, ich möchte gleich auf Sie zurückkommen. Erstmal, Sie liebes Publikum, was denken Sie: kann man sagen, wer einen ethnisch-kulturellen Volksbegriff vertritt, ist auch automatisch ein Rechtsextremist? Vorhin ging das schneller, als es um das Grundgesetz ging. Ja, mich hat es ebenfalls beschäftigt. Ja, Viele, vielleicht auch Enthaltungen? Nein.

Alexander Thiele:

Enthaltung kann es ja nicht geben.

Marie-Elisabeth Miersch:

Langes Nachdenken. Ich würde sagen, überwiegend ja, aber auch teilweise einige verneinende Haltungen. Vielleicht an Sie, Herr Puschner, gerichtet. Ist das sozusagen ein Kern der Rechtsextremisten?

Uwe Puschner:

Da sind wir auch bei so einem Problem. Was ist eigentlich ein Rechtsextremist? Ja, da bin ich jetzt kein Fachmann dafür. Da wäre jetzt schön, wenn mein Kollege Gideon Botsch da wär, der könnte das besser erklären. Wenn sich dieser brandenburgische Politiker also da rausreden will. Trotzdem würde ich vielleicht nicht sagen, dass er Rechtsextremist ist, aber dass das Standteil rechtsextremistischen Denkens ist, wenn man einen ethnisch-kulturellen Griff von Volk ventiliert und den vertritt. Da bin ich fest von überzeugt, unter der Maßgabe auch dieses scheinbar offenen Ethnopluralismus, weil es ja auch ein Ausschlussverfahren darstellt. Es schließt ja diejenigen aus, die jetzt hier leben, aber nicht hierhergehören.

Marie-Elisabeth Miersch:

Es ist auch eben schwierig in dem Sinne, weil sich auch der Verfassungsschutz an dieser Begrifflichkeit versucht da Grenzen aufzuziehen. Haben Sie auch noch eine Haltung dazu?

Alexander Thiele:

Ich würde dem zustimmen, würde aber sagen, dass man wahrscheinlich, wenn man ein ethnisch, also das jedenfalls rechtsextremistisches Gedankengut teilt, wenn man diesen Begriff hat. Ja, ich würde sagen, das Rechtsextreme geht insbesondere natürlich mit dieser Abgrenzung, dieser Abwertung des anderen, welches andere das auch immer ist, das muss ja nicht immer nur das Volk betreffen, kann dann vielleicht sozusagen auch 'ne Religion sein, die die abgewertet wird, 'ne bestimmte Herkunft ohne auch gleich Ethnie zu sein.Uwe Puschner:Werte auch.Alexander Thiele:Werte, bestimmte Wertevorstellungen, genau, dass sozusagen, dass der Westen, das sehen wir dann vielleicht im, im, im asiatischen Raum, also in China, das sozusagen aber auch in Russland, der Westen als vermeintlich homogene Gruppe abgewertet wird. Also ich würde sagen, wer einen ethnischen Volksbegriff vertritt, ist nach dieser Definition wahrscheinlich schon auch Rechtsextrem, weil es eben um eine Abwertung notwendigerweise anderer Bevölkerungen geht, anderer Volkszugehörigkeiten geht, anderer Indien geht. Die Frage ist nur, was gewinnen wir mit dieser Begrifflichkeit am Ende, ne? Also was, was führt uns das eigentlich weiter? Also manchmal ist die Debatte dann auch zu stark auf solche Begrifflichkeiten aus, die sich ohnehin, wenn man sie historisch beleuchtet, nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Also wir haben jetzt in den USA diese große Debatte, die ja hier auch rüber schwappt, ist Trump jetzt Faschist oder ist das nicht? Und die Frage ist, was gewinnen wir eigentlich durch so 'ne Debatte, weil natürlich der Begriff des Faschismus seinerseits wieder so komplex und vielschichtig ist, dass man das natürlich immer sowohl bejahen als auch verneinen kann, weil es natürlich immer neue Elemente sind, die da mit reingebracht werden. Und deswegen scheint mir diese Debatte vielleicht nicht zielführend zu sein, das irgendwie so einem Label aufdrücken zu können, der ist noch nicht rechtsextrem, also ist noch ok, das schwingt ja bei diesem Zitat mit, ne, also weil er ja noch nicht rechtsextrem ist, ist es noch in Ordnung. Das ist der Versuch, etwas zu normalisieren, was aber nicht zu normalisieren ist unter dem Grundgesetz, indem man quasi einen noch schlimmeren Rechtsextremismus daneben packt und sagt, das bin ich aber noch nicht, beginnt aber früher und es beginnt bei bestimmten Ideen und die sind hier schon vorhanden. Deswegen ist mir ehrlich gesagt völlig egal, ob er jetzt Rechtsextremist oder ist oder nicht. Er vertritt einen ethnischen Volksbegriff und damit ist er in Anführungsstrichen raus aus der grundgesetzlichen Ordnung.

Uwe Puschner:

Ja, also das, dann hätten Sie einen Punkt an, der auch ganz wesentlich ist für völkisches Handeln, nämlich das Kaschieren. Das Kaschieren von Vorstellungen durch den Gebrauch von Begriffen oder jetzt hier eben, ich vertrete zwar eine kulturelle, ethnische Vorstellung, aber ich bin kein Rechtsextremist. Das sind Ablenkungsmanöver. Man muss sich dann diese einzelnen Personen genau angucken und sehen, die Komplexität des Denkens und was da noch für Denkfiguren auftauchen und dann kann man sie beurteilen. Aber das gehört dazu, „das Denkmal der Schande“. Damit kann ich ganz bestimmte Personen ansprechen und das ist, denke ich, auch hier die Antriebskraft gewesen. Eben, ihr könnt mich wählen, ich bin ja nicht rechtsextremistisch.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, wie sich das verlagert. Zum Schluss würde ich Ihnen gerne jeweils noch eine Frage stellen und zwar als Ausblick. Also, wenn wir diese Mechanismen nachvollziehen wollen, wie einzelne Begriffe eben schon instrumentalisiert wurden, um Menschen auszuschließen, zu entrechten, Das hatte ja auch Folgen für Wirtschaft, für Soziales, für Bildung, fürs Miteinander. Und hier würde ich eben gern diesen Blick auf heute setzen. Wenn wir das völkische Denken in der modernen Gesellschaft, modernen Politik, wenn das weiter Einzug hielte, wenn wir konkret weiterspinnen, was da gefordert wird, was in bestimmte Begriffe hineingelesen wird, umgedeutet wird, auch aus extrem rechter Sicht. Herr Puschner, was hätte denn das für Auswirkungen auf, ist vielleicht 'ne große Frage, auf Gesellschaft, auf unser soziales Miteinander, vielleicht auch dann wenn man ähnlich wie vorhin die Frage stellt, auch aus vielleicht aus ihrer Perspektive, wo man da hellhörig werden muss.

Uwe Puschner:

Ganz wichtig ist es, wir beschäftigen uns hier immer oder haben uns heute Abend auch wieder jetzt ganz zurecht mit diesem Denken und mit bestimmten Gruppen und Vertretern dieses Denkens beschäftigt. Aber wir müssten uns, denk ich, vor allem der gesamten Gemeinschaft zuwenden und all denjenigen, die mit diesem Denken konfrontiert werden und fragen, ist da nicht was dran? Und die muss man erreichen. Also da bin ich ein unverbesserlicher Anhänger der Aufklärung, wo meine wissenschaftliche Laufbahn mal begonnen hat.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, vielen Dank. Sie, Herr Thiele, noch mal aus juristischer Sicht, also was können wie können wir denn auch den modernen Verfassungsstaat irgendwie unterstützen, stärken?

Alexander Thiele:

Also, erstmal möcht ich unterstützen, was Sie gesagt haben. Ich glaub, man muss das in dieser Dramatik auch sagen, das was die Konsequenz wäre, wenn es so weiter geht, da sind wir noch lange nicht, ne? Und ich bin hier sozusagen der Letzte, der jetzt hier kulturpessimistisch quasi schon den Abschied einleitet, so nein, aber wir wissen, was passiert, wenn das völkische Denken überhandnimmt, ab einer gewissen Schwelle haben wir das eben erlebt im 20. Jahrhundert, das wird dann anders ablaufen was im Prinzip abläuft, das wissen wir eigentlich so, dieses Freund-Feind-Denken lässt sich nicht mit einer harmonischen Gesellschaft zusammenbringen, das funktioniert, ja. Das ist einfach ein strukturelles, sozusagen ideologisches Problem, was nicht sich nicht auflösen lässt. Die Frage ist, was tun wir, das eine, was haben, das haben Sie ganz richtig gesagt, wir müssen da einfach dran bleiben und wir müssen erklären und wir müssen offen sein auf gegenüber Bevölkerungsgruppen, die da vielleicht empfänglicher dafür sind, absolut. Aber was mir manchmal in der Debatte so ein Stück weit, zu wenig vorkommt oder anders, was manchmal zu viel ist, dass wir uns zu stark um diese Leute kümmern, die das Völkische vertreten. Das haben wir heute Abend auch gemacht, das find ich auch gut, ist auch wichtig, ja, aber mir fehlt manchmal die Gegenerzählung, die positiv konnotierte Gegenerzählung, die losgelöst von irgendwelchen Akteuren erzählt wird. Wir erzählen sie immer nur in Abgrenzung, wir müssen verhindern, dass die AfD… deswegen müssen wir jetzt X. wir müssen verhindern, dass die AfD jenes so. In den USA ist das genauso, die Demokraten, die Republikaner machen mal ganz böse, ja, stimmt doch alles, nur hilft uns irgendwie nicht weiter. Sie haben vorhin was ganz Wichtiges gesagt, die Bereitschaft völkischem Denken zu verfallen, rechtsradikalem Denken, Rechtspopulismus, wie auch immer man das nennen möchte, hängt mit der Krisenhaftigkeit der Gesellschaft zusammen. Das heißt, wir haben offensichtlich irgendwie so eine Art Krise gerade, das spüren wir auch alle und das ist deswegen erneut, das Narrativ ist anknüpfungsfähig, weil wir das Gefühl haben, da stimmt irgendwas, insbesondere mit der Leistungsfähigkeit, der sozialen Gleichheit et cetera, tatsächlich im demokratischen Verfassungsstaat nicht. Er versagt gerade bestimmten Punkten. Worum wir uns also kümmern müssen, ist doch, dass wir 'ne Erzählung und dann auch 'ne Handlung begründen, die das Problem wirklich an der Wurzel packt und den demokratischen Verfassungsstaat wieder die Legitimität zurückgibt, die er braucht. Legitimität verstanden als Akzeptanz des bestehenden Systems als prinzipiell gerecht. Diese Menge an Personen darf unter eine bestimmte Schwelle nicht rutschen und der kommen wir jetzt langsam näher. Und da müssen wir wieder sozusagen in die andere Richtung gehen, dass Leute wieder sagen: "Ey, das ist eigentlich schön hier." So, ja, also das ist eigentlich nicht schlecht. Wir können das besser machen und wir sollten es besser machen, aber im Prinzip ist das ok. Und da setzt der Staat aber bei so banalen Dingen wie Infrastruktur in den letzten Jahren eben ein Signal, was völkisches Denken dann hilft. Es gibt jetzt grad ganz frisch von der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie, die mir mal den Zusammenhang gezeigt hat zwischen kommunaler Infrastruktur, Daseinsvorsorge und deren Funktionsfähigkeit und den Wahlergebnissen der AfD. Und ehrlich gesagt, als Staatstheoretiker bin ich jetzt nicht überrascht, ja, wenn alles geschlossen wird, wenn die Demokratie sich darin zeigt und offenbart, dass Schwimmbäder geschlossen werden, Theater zugehen, die Straße kaputt und die Schule stinkt, dann wundert es mich nicht, dass man sagt, ja dann lass es die anderen machen. Das heißt, wir brauchen wieder eine positive Entwicklung und deswegen besorgt mich in besonderer Weise das, was in Berlin gerade passiert, weil mir scheint es noch nicht so richtig angekommen zu sein, dass die Kompromissfähigkeit und Haftigkeit jetzt zunehmen muss, um diesem Problem Herr zu werden. Und wenn jetzt heute ist die Richterin genannt worden, die vielleicht gewählt werden soll, wenn sowas jetzt schon scheitert und schon wieder scheitert, dann sind wir auf keinem guten Weg.

Marie-Elisabeth Miersch:

Das ist jetzt das Abschlusswort. Sollen wir es so lassen?

Alexander Thiele:

Wenn es nicht scheitert, sind wir auf einem guten Weg.

Marie-Elisabeth Miersch:

Danke, vielen Dank. Das war 'Let's Talk About Recht', der Life und Tail-Podcast zur Gesprächsreihe der Stiftung Forum Recht. Schön, dass ihr dabei wart. Wenn euch das Gespräch gefallen hat, hört doch in die anderen Folgen rein. Für mehr Informationen und spannende Einblicke ins Recht, folgt uns auf Instagram oder besucht uns auf unserer Website. Bis zum nächsten Mal.

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