Klick` dir deine Rechte! Digitale Zugänge zum Recht

Shownotes

Darum geht`s in dieser Episode

Ob Flugausfall, Zugverspätung oder Datenklau – für all diese Fälle gibt es Online-Portale, Chatbots oder andere digitale Helfer, die Privatpersonen dabei unterstützen, ihre Rechte geltend zu machen. Diese Anwendungen werden unter dem Begriff Legal Tech zusammengefasst. „Legal Tech steht für die Digitalisierung und Modernisierung des Rechtsbereichs. Unter dem Stichwort versammeln sich völlig neue, verbraucherfreundliche, digitale Rechtsdienstleistungen, ebenso wie KI-Tools, die Gerichtsprozesse beschleunigen sollen oder Software, die von Kanzleien und Rechtsabteilungen für ein effizienteres Vorgehen eingesetzt wird“, erklärt Alisha Andert, Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verband Deutschland e.V.

Die Digitalisierung ist längst auch im Recht angekommen. Unter dem Stichwort Legal Tech werden seit einigen Jahren vielfältige Angebote geschaffen, die das Recht und die juristische Arbeit digitalisieren. Kanzleisoftware, Software zur Dokumentenerstellung oder auch Tools für die Zusammenarbeit erleichtern die Arbeit in der Rechtspflege. Andere Anwendungen ermöglichen Privatpersonen, standardisiert Ansprüche z.B. gegen Unternehmen oder Vermietende per Mausklick geltend zu machen. Flugausfall, Zugverspätung, Datenklau, Mieterhöhung, Nebenkostenprüfung, Einspruch gegen Bußgeldbescheid oder Hilfe bei der Kündigung eines Abos – für all das gibt es digitale und automatisierte Angebote. Ist Legal Tech für Verbraucherinnen und Verbraucher ein Versprechen, einfacher zu ihrem Recht zu kommen?

Für mehr Informationen über uns und spannende Einblicke ins Recht folgt uns auf Instagram: @stiftungforumrecht. Oder besucht uns auf unserer Website.

Moderation: Marie-Elisabeth Miersch, Stiftung Forum Recht

Produktion und Redaktion: Das Team der Stiftung Forum Recht

Warum wir darüber sprechen

Juristische Themen haben oft das Image, schwer verständlich und hoch kompliziert zu sein. Dabei gehen viele Fragen des Rechts uns alle etwas an. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel: Sie ist ein Grundrecht, das allen Bürger:innen in Deutschland entsprechend unserer Verfassung zusteht. Warum kommt es dennoch vor, dass Gesetze erlassen werden, die dieses Grundrecht unter bestimmten Bedingungen einschränken?

Abwechselnd an den beiden Stiftungsstandorten Leipzig und Karlsruhe sowie zu stets wechselnden Themen laden wir alle interessierten Menschen ein, über Gesetzgebung, Rechtsausübung und Rechtsschutz zu diskutieren. „Let’s Talk About Recht“ bietet Einblicke in verschiedene Bereiche des Rechts und des Rechtsstaats und zeigt anhand von Beispielen aus der Praxis, wo und wie sie im Alltag wirken und welche Bedeutung sie für unsere Gesellschaft haben.

Transkript anzeigen

Transkript: Let‘s Talk About Recht – Der Live-on-Tape Podcast zur GesprächsreiheFolge #5: Klick‘ Dir Deine Rechte. Legal Tech mit Alisha Andert

Marie-Elisabeth Miersch (MaM): Hallo und herzlich willkommen zu „Let’s Talk About Recht“. Mein Name ist Marie-Elisabeth Miersch. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Forum Recht und ich freue mich, dass Sie sich heute hier die Zeit genommen haben, um mit unserer Expertin darüber zu sprechen, wie die Digitalisierung des Rechts den Zugang zum Recht verändert und wie man es schafft, vor allem für Verbraucherinnen und Verbraucher juristische Informationen so verständlich wie möglich zu erklären und zu kommunizieren, damit eben diese auch ihre Rechte besser verstehen und dadurch besser durchsetzen können.

Unsere Veranstaltung wird heute ungefähr neunzig Minuten dauern, davon circa eine Stunde reines Gespräch und den Rest benutzen wir, um Zeit für Ihre Fragen zu nehmen.

Was wir auch immer gerne noch dazu sagen, ist: Die Veranstaltung richtet sich wie alle unsere Veranstaltungen an alle Interessierten und nicht nur an ein rein juristisches Fachpublikum. Auch wenn wir uns natürlich freuen, wenn unter Ihnen auch Rechtskundige dabei sind. Ich will das nur sagen, damit Sie es mir nachsehen, wenn ich immer mal wieder nachhake und auch noch mal Begriffe unseren Gast bitten werde zu erklären.

Und damit es heute auch ein echter Talk wird, möchten wir Sie als Publikum gerne auch mit einbeziehen. Dazu finden Sie auf Ihrem Platz Abstimmungskarten mit Ja/Nein, die Sie dann zu gegebener Zeit nutzen können.

Worüber wir uns auch freuen: Dieses Gespräch findet nicht nur hier vor Ort statt, sondern ist auch Teil unseres Live-on-Tape-Podcasts „Let’s Talk About Recht“. Damit ermöglichen wir es noch einem größeren Publikum, die Eindrücke aus unseren Gesprächen mitzunehmen.

Und jetzt freue ich mich ganz besonders, unsere heutige Gästin bei uns begrüßen zu dürfen, die sich – und das haben wir glaube ich gemeinsam auch mit der Stiftung – damit auseinandersetzt, wie wir das Thema Recht verständlicher und zugänglicher machen können.

Und Sie denken das Recht auch neu, nicht nur aus Sicht der Gesetze, sondern auch aus der Sicht der Nutzenden des Rechts. Und wie das aussehen kann und warum uns alle das betrifft, darüber reden wir heute.

Hallo und herzlich willkommen, Alisha Andert.

Alisha Andert (AA): Danke schön. Ich freue mich sehr, dass ich da sein kann.

MaM: Danke dir. Wir freuen uns auch sehr. Und fürs Publikum würde ich dich gerne ganz kurz vorstellen, damit wir auch wissen, mit wem wir es hier zu tun haben.

Du bist studierte Juristin, Rechtsanwältin und hast zudem ein Design-Thinking-Studium abgeschlossen. Du bist Mitgründerin und Geschäftsführerin der auf den Rechtsbereich spezialisierten Unternehmens- und Innovationsberatung This is legal design. Das Unternehmen berät vor allem Rechtsabteilungen mit Blick auf Legal Tech und Legal Operations.

Du bist außerdem Vorstandsvorsitzende des Legal Tech Verbandes Deutschlands und setzt dich in dieser Funktion auch für die Digitalisierung und Innovation auf dem deutschen Rechtsmarkt ein. Erfahrung in dem Bereich Legal Tech hast du vor allem in deiner Funktion auch als Head of Legal Innovation bei Flightright und der digitalen Arbeitsrechtskanzlei Chevalier gesammelt.

Ich hoffe, ich habe es richtig ausgesprochen. Und du moderierst auch einen Podcast, und zwar den Talent Rocket Podcast New Lawyers, und sprichst in dieser Funktion auch mit spannenden Personen in und außerhalb des Rechts.

MaM: Wie würdest du jemandem erklären, den du neu kennenlernst – vielleicht hier auf der Veranstaltung oder auf einer Party – was du beruflich machst?

AA: Oh, das ist eine gute Frage. Okay, wenn ich mit Juristen zu tun habe, dann macht es das gar nicht unbedingt einfacher, wenn ich das erklären muss. Wenn ich es ganz leicht runterbreche, würde ich sagen: Ich bin ganz langweilig Unternehmensberaterin, Unternehmens- und Innovationsberaterin.

MaM: Das sind ja aber viele Leute.

AA: Deswegen versuche ich immer zu sagen: Was sind sozusagen die Probleme von meinen Kunden? Das sind konkret Rechtsabteilungen in Unternehmen. Ein typisches Thema ist, dass die Rechtsabteilung erst mal nicht die allerbeliebteste Abteilung im Unternehmen ist. Das hat meistens damit zu tun, dass sie sehr unverständlich kommuniziert, dass sie sehr langsam arbeitet – zumindest aus Sicht von allen anderen – weil die Verträge nicht fertig werden, weil rechtliche Anfragen so langsam beantwortet werden usw. Wir helfen Rechtsabteilungen dabei, diese Services, die sie erbringen, effizienter, nutzerfreundlicher und besser zu erbringen.

MaM: Das ist also das, was du ganz konkret machst. Aber wir sprechen ja bei eurem Unternehmen von Legal Design.

AA: Genau. Wir versuchen, das Recht und rechtliche Prozesse zugänglicher und nutzerfreundlicher zu machen. Das kann Kommunikation sein, die wir umgestalten. Das kann aber auch Prozessoptimierung sein. Es kann der Einsatz von digitalen Tools sein – also alles, was dazu beiträgt, Recht und Menschen näher zusammenzubringen.

MaM: Du meintest, dass vor allem Rechtsabteilungen oft so unverständlich kommunizieren. Woran liegt das?

AA: Erst mal hat das viel mit dem juristischen Studium zu tun. In der juristischen Ausbildung lernt man eine völlig neue Sprache, die von allen anderen als Juristendeutsch bezeichnet wird. Und wenn es so etwas gibt wie einen Begriff wie Juristendeutsch, zeigt das ja schon, dass es kein normales Deutsch ist. Das wird uns erst mal antrainiert – eine besonders akzentuierte, spezifische Art, Dinge auszudrücken, die mit normaler Sprache wenig zu tun hat.

Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist die Absicherung. Denn bei Jura ist alles Einzelfallbetrachtung, alles sehr individuell. „Kommt drauf an“ ist der Lieblingsspruch von allen Juristen. Es könnte so sein, es könnte auch anders sein – und wir wollen uns absichern.

Das sind die zwei großen Punkte, warum die Kommunikation häufig ein Schmerzpunkt ist.

MaM: Wir treffen hier auch oft Welten aufeinander, die dann absolut… Gerade wir hatten schon Legal Design, Legal Operations… das klingt futuristisch und vielleicht im ersten Moment sehr unnahbar. Obwohl es ja immer um konkrete Alltagsprobleme geht: Kündigung beim Arbeitsvertrag, hohe Nebenkosten, Handyverträge, Flugausfall usw.

Bevor wir aber tiefer in diese Themen steigen, wäre es gut, wenn du uns noch mal erklärst: Was verstehst du unter Legal Tech? Gibt es da eine allgemein gültige Definition?

AA: Juristen nach Definitionen zu fragen, ist immer das Beste. Bei Legal Tech kann man viele Sachen darunter fassen. Einerseits konkrete Rechtsdienstleistungen, die digitalisiert, automatisiert oder teilautomatisiert sind – typische Verbraucherprobleme, die kosteneffizienter und leichter lösbar gemacht werden.

Dann fallen darunter Softwarelösungen im Rechtsbereich – Anwaltssoftware, Kanzleisoftware und neue Produkte, die KI nutzen, Prozesse automatisieren und unterstützen können. Auch in der Justiz gibt es solche Tools, z. B. digitale Akten oder Tools zur Unterstützung von Entscheidungsfindung.

Legal Tech ist also ein super breiter Begriff. Wir beim Legal Tech Verband definieren ihn als Digitalisierung und Transformation des Rechtsmarktes generell.

MaM: Fällt Legal Design auch darunter, oder ist das was anderes?

AA: Legal Design ist nicht Legal Tech, sondern eine Methodik, die sich aus Design Thinking entwickelt hat. Ziel ist, nutzerfreundliche Lösungen zu gestalten, iterativ und prototypisch, mit Feedback der Nutzerinnen und Nutzer.

Es kann Kommunikation sein, Prozessoptimierung oder digitale Tools. Am häufigsten denkt man an Kommunikation: juristische Inhalte nutzerfreundlicher vermitteln. Aber im Tech-Bereich spielt die Methodik eine große Rolle, weil man auch viel falsch digitalisieren kann.

Ein Beispiel: Ein Projekt der Bundesagentur für Arbeit, das Millionen kostete, wurde eingestellt, weil die späteren Nutzer nicht einbezogen wurden. Das passiert auch in Rechtsabteilungen oder Kanzleien, wenn Tools ausgewählt werden, die nicht zu den Bedarfen passen.

MaM: Du hattest mir im Vorgespräch gesagt, dass Legal Design sich gut erklären lässt mit einem IT-System: Backend – Gesetze, Institutionen, Gerichte – funktioniert stabil, aber viele Menschen fühlen sich machtlos, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen. Warum?

AA: Weil das Frontend – also die Benutzeroberfläche – nicht für die Menschen gemacht ist, die es nutzen sollen. Nur wer sich im Rechtssystem zurechtfindet, kann Vertrauen in den Rechtsstaat entwickeln. Wer seine Rechte nicht kennt oder Angst vor Kosten, langwierigen Verfahren oder Formularen hat, kann sie nicht durchsetzen. Dieses Problem wird oft ausgenutzt.

MaM: Worin liegt die größte Systemschwäche unseres Rechts? Was müsste sich ändern, damit das Rechtssystem uns allen dient?

AA: Ich nehme gern ein Beispiel aus IT: Früher musste man für Computerprogrammierung viel wissen. Heute gibt es nutzerfreundliche Interfaces. Im Rechtssystem bleibt es aber auf dem „Programmiersprachen-Level“ – nur Profis können die Systeme nutzen.

Das Problem: Anspruch haben die Bürgerinnen und Bürger, aber der Zugang, die Durchsetzung, wird nicht mitgedacht. Dienstleister greifen diese Lücke auf, aber der Staat müsste auch überlegen, wie Menschen ihre Rechte einfach geltend machen können.

MaM: Oder es ist eine sehr gute Frage. Da müsste ich noch mal in unser Grundgesetz reinlesen, inwiefern es dazu wirklich irgendwelche Aussagen tätigt. Hast du eine Antwort? Hast du reingeguckt?

AA: […] Ich hätte jetzt einfach mit Artikel 19 noch mal, dass man überhaupt den Anspruch hat, sein Recht durchzusetzen, den Rechtsweg bestreiten zu können. Ich würde es so auslegen, dass dann die Institutionen auch so beschaffen sein müssen und die Strukturen so geschaffen werden müssen, dass das auch möglich ist. Und das hat die Frage, wo ist dann die Grenze, ob ich mich aus Gründen von Angst oder weil es mir zu kompliziert ist, davon zurückschrecke. Aber so was muss man ja beachten. So was muss man ja mit reinnehmen in die Abwägung, ob die Leute ihre…

MaM: Und das kann man ja in Studien, die es schon gibt, auch sehen, dass es einen Rückgang gibt bei den Eingangszahlen, auch bei den Gerichten. Aber das ist ja zum Beispiel nur vor allem auf die Gerichte, den Rechtsweg. Ich finde, das ist eine total spannende Frage. Also Artikel 19 da dafür als Argument einmal heranzuziehen. Ich glaube aber, wenn man es streng nimmt, hat jeder die Möglichkeit, seine Rechte geltend zu machen. Wir haben schon tatsächlich auch einen starken Rechtsstaat. Niemand weist dich ab und sagt: „Nee, du, bitte nicht. Mir gefällt deine Nase nicht.“ Das ist in Deutschland nicht so! Wir haben einen wirklich, an sich, sehr, sehr starken Rechtsstaat institutionell.

AA: Aber das ist genau mein Punkt, dass wir es halt aus meiner Sicht nicht weit genug denken, dass wir im Grunde genommen immer auf dieser „Du kannst alles machen, theoretisch kannst du alles machen. Du hast Anspruch, deine Rechte durchzusetzen“ stehen bleiben. Ich glaube, es ist kein verfassungsrechtliches Problem, aber wir würden den Zugang zum Recht insgesamt trotzdem so viel verbessern können, wenn wir das Ganze als zugängliche Nutzererfahrung weiterdenken würden und uns eben auch die Frage stellen: Wer sind denn die Personen und was für unterschiedliche Bedarfe haben die, und wie viel? Was brauchen die für unterschiedliche Angebote?

Also zum Beispiel: Nicht alle Leute haben gleich viel Geld. Das heißt, wir brauchen für manche Leute die Möglichkeit, damit sie trotzdem ihre Rechte durchsetzen können, dass ihnen bestimmte Kosten, die mit einem Gerichtsverfahren entstehen, vorgestreckt werden können oder sogar komplett übernommen werden. Wir haben in Deutschland natürlich die Prozesskostenhilfe. Aber wissen das alle? Nein. Wissen alle, wie sie diesen Antrag stellen? Nein. Ist das super einfach da ranzukommen? Nein.

MaM: Und das heißt?

AA: Wir denken sozusagen in Teilen schon in diese Richtung, aber immer nicht weiter. Und es gibt noch viel mehr Dinge. Nicht alle Menschen sprechen Deutsch, sie haben unterschiedliche Bedarfe. Nicht alle Menschen leben in Städten und haben die Möglichkeit, zu allen möglichen verschiedenen Anwälten zu gehen. Also wir haben ganz unterschiedliche Nutzer letztlich in diesem System, und auf die sich mehr einzustellen und mal zu verstehen, wo denn eigentlich deren Zugangshürden liegen, ist konkret eine Aufgabe des Staates, um zu verstehen, wo sind juristische Bedarfe, wo liegen Zugangshürden für einen besseren Zugang zum Recht? Wir wissen gar nicht so viel darüber. Wir wissen wesentlich weniger, als man erwarten würde.

MaM: Vielleicht ist es an der Stelle auch noch mal ganz gut, über deine Funktion beim Legal Tech Verband zu sprechen. Wofür setzt sich denn der Verband ein? Also was sind die Perspektiven der Branche, für die du sprichst?

AA: Der Legal Tech Verband ist Vertreter von ganz vielen Unternehmen, die alle im weitesten Sinne mit Digitalisierung des Rechts zu tun haben. Wie ich vorhin schon gesagt habe: Was fällt alles unter Legal Tech? Das sind viele Sachen, und im Legal Tech Verband ist quasi die komplette Bandbreite an Unternehmen vertreten. Am Ende sind wir trotzdem ein Wirtschaftsverband. Wir haben nicht die Justiz als Mitglied, sondern Unternehmen und Kanzleien, und beschäftigen uns trotzdem mit Themen wie der Digitalisierung der Justiz, weil wir es als unseren gesellschaftlichen Auftrag empfinden, die Digitalisierung und Innovationen im Rechtsmarkt und im Rechtsbereich insgesamt voranzutreiben.

Wir haben Unternehmen, die Softwareprodukte für Kanzleien anbieten, die interessieren sich eher für interne Digitalisierungsthemen. Wir haben aber auch solche, die Softwareprodukte für die Justiz anbieten, die natürlich ein Interesse daran haben, dass die Justiz sich weiterentwickelt. Und dann haben wir noch Rechtsdienstleister, die unterschiedliche Verbraucherprodukte anbieten und ein Interesse daran haben, dass das rechtlich möglich ist, weil der Rechtsdienstleistungsbereich stark reguliert ist. Dann haben wir noch Rechtsabteilungen, die sich interessieren, wie sie Digitalisierung umsetzen können, Prozesse effizienter machen usw. Insgesamt haben wir ein Interesse daran, ein innovationsoffenes Rechtsfeld mitzugestalten, weil davon alle profitieren – unsere Mitglieder und die Gesellschaft.

MaM: Kannst du uns da noch mal mitnehmen, wie da so der Prozess aussieht? Von den ersten Gesprächen mit Unternehmen, wo sind die Probleme, wo kann man Lösungen entwickeln, bis hin zu Empfehlungen an die Regierung oder den Bundestag? Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

AA: Ehrenamtlich, ja. Wir sagen immer, wir haben zwei große Säulen im Verband. Erstens die Netzwerksäule, wo es darum geht, voneinander zu lernen. Rechtsabteilungen, Kanzleien und Unternehmen tauschen sich aus. Die andere Säule ist die politische. Dort geht es darum: Welche Interessen hat unsere Branche und wie können wir der Politik diese Interessen klar machen?

Manche Themen kommen von Mitgliedern, konkrete politische Anliegen, bei denen sie wollen, dass wir Stellung nehmen. Meistens ist es aber andersrum: Die Politik tritt an uns heran, weil sie unsere Stimme interessant findet, vor allem bei Digitalisierung der Justiz. Wir bekommen E-Mails oder Rundmails, Stellungnahmen zu Referentenentwürfen, stimmen uns intern ab und verfassen Stellungnahmen. Oder wir werden von Parteien als Sachverständige benannt, wenn es um Gesetze geht. Dann spricht eine Person für den Verband und bringt die digitale Stimme des Rechts ein.

MaM: Gab es da schon erfolgreiche Beispiele?

AA: Ja, eine der erfolgreichsten war am Anfang, als wir gegründet wurden. Es ging um das Rechtsdienstleistungsgesetz und Legal Tech Verbraucherportale. Viele Anbieter sind keine Kanzleien, sondern Inkassodienstleister, weil sie Freiheiten brauchen, die Kanzleien nicht haben, zum Beispiel Investoren an Bord zu nehmen. Sie machen Verbraucherforderungen geltend, während Inkasso normalerweise Forderungen von Unternehmen gegen Verbraucher geltend macht. Das Legal Tech Gesetz hat dieses Konstrukt gestärkt, klargestellt, was erlaubt ist, und bestimmte Nebenleistungen geregelt. Wir haben mit Stellungnahmen mitgewirkt.

MaM: Die Rechtsdurchsetzung wird ja auch schon digitaler, durch KI, Chatbots, Deep Learning. Im Zusammenhang ist das neue Rechts-KI-Tool Noctua interessant, von einem Berliner Startup. Es soll Juristinnen die Arbeit erleichtern, komplexe Prozesse automatisieren und wird mit Daten von C.H. Beck trainiert. Viele sagen, es könnte eines der wichtigsten Legal Tech Tools in Europa werden.

AA: Ich würde mich gerne ans Publikum wenden: Könnten Sie sich vorstellen, dass eine KI Ihr Rechtsproblem übernimmt?

Publikum: Sehr ausgeglichen, Ja, Nein, überraschend ausgeglichen.

MaM: Würdest du sagen, das ist überraschend?

AA: Ja. Ich hatte mehr Skepsis erwartet, vielleicht weil die meisten Menschen im juristischen Bereich sagen: „Das geht natürlich nicht.“ Man kann natürlich nicht sein Rechtsproblem einfach an eine KI abgeben. Ich hätte eher mehr Skepsis erwartet.

MaM: Wie schätzt du die Rolle der KI ein?

AA: Eher als unterstützendes Werkzeug für Anwältinnen und Richter. Momentan kann KI das juristische Verstehen noch nicht wirklich leisten. Sie kann simulieren, aber nicht wirklich verstehen. Ich sehe den größten Mehrwert darin, dass juristische Anwender ihre Arbeit verbessern. Auch Verbraucher könnten Orientierung bekommen: Habe ich Anspruch? Welche Fragen müsste ich stellen? Welche Schritte unternehmen?

MaM: Sie sind zwar Mitglied beim Legal Tech Verband, aber es gibt noch andere Anbieter.

AA: Ja, das Potenzial der KI ist, im juristischen Dschungel Klarheit zu schaffen, Hilfestellungen zu geben, ohne die komplette Lösung zu liefern. Auch für einzelne Schritte, wie ein Schreiben erstellen, das bestimmte Fallfakten einbezieht. Ich bin ein bisschen zwiegespalten, habe aber noch Bedenken, dass es so einfach funktioniert.

MaM: Thema Rechtsdienstleistungsgesetz: ChatGPT berät, mit Disclaimer. Ist das schon Rechtsdienstleistung?

AA: Je konkreter und besser die Tools werden, desto mehr regulatorische Fragen tauchen auf. Man muss Verbraucher schützen, falls Antworten falsch sein könnten.

MaM: Du hast von Rechtsdienstleistern erzählt, die als Inkassounternehmen arbeiten. Warum dürfen die Rechtsberatung machen, obwohl Kanzleien eigentlich ein Monopol haben?

AA: Die dürfen in einem sehr begrenzten Rahmen beraten, meist nur bezüglich der Forderung, die sie geltend machen. Die Diskrepanz zwischen Kanzleien und Inkassodienstleistern ist sichtbar. Wir sagen nicht, Inkassodienstleister sollten es nicht dürfen, sondern Kanzleien sollten es auch dürfen.

MaM: Erfolgshonorar spielt auch eine Rolle?

AA: Ja, das Modell besagt: Nur wenn das Unternehmen erfolgreich ist, wird bezahlt. Früher war das für Kanzleien kaum erlaubt. Heute gibt es Lockerungen, aber die Regulierung war für Kanzleien strenger als für Inkassodienstleister.

MaM: Und jetzt die Reform der Fluggastrechte. Was ist da passiert?

AA: Vor 20 Jahren kam die Fluggastrechteverordnung. Entschädigungen: 250, 400 oder 600 Euro, abhängig von der Strecke. Anfangs kaum Wirkung, Airlines wehrten sich leicht. Erst Legal Tech Unternehmen wie Flightright machten Druck, gingen auch vor Gericht. Durch Masse und rechtliche Durchsetzung wurden Airlines gezwungen, Ansprüche zu akzeptieren.

MaM: Politisch: Airlines haben Lobby, wollen Ansprüche reduzieren.

AA: Logisch aus unternehmerischer Sicht. Verbraucherseite will Rechte hochhalten. Legal Tech Geschäftsmodelle basieren darauf. Reformen der EU zielen auf Veränderungen, Verbraucherschützer und Legal Tech Unternehmen sind alarmiert, weil Ansprüche eingeschränkt werden sollen.

MaM: Liebe Alisha, ich würde noch ewig mit dir reden, aber wir sind am Ende. Vielen Dank, dass du heute extra angereist bist. Vielen Dank an das Publikum und unser Team. Ich eröffne die Runde fürs Publikum.

Das war Let's talk about Recht – Live on Tape, der Podcast zur Gesprächsreihe der Stiftung Forum Recht. Schön, dass ihr dabei wart. Hört auch in andere Folgen rein. Für mehr Infos folgt uns auf Instagram oder besucht unsere Website. Bis zum nächsten Mal!

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.