Darf man das sagen? Meinungsfreiheit, ihre Grenzen und das Recht

Shownotes

Darum geht`s in dieser Episode

Der Live-on-Tape-Podcast wirft einen Blick auf aktuelle Fragen: Welche rechtlichen Grenzen gibt es für Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit – auch im Netz? Wie schützt das Recht vor Falschinformationen und Schmähkritik – und wo drohen Einschränkungen der freien Presse? Wann wird Enthüllungsjournalismus zur unzulässigen Rufschädigung? Und welche neuen Entwicklungen im Medienrecht sind aktuell besonders brisant? Ob Unterlassungsklagen gegen investigative Recherchen, Prominente im Kampf gegen unliebsame Berichterstattung oder die Rolle von Plattformen wie X und TikTok im Umgang mit problematischen Inhalten – das Presse- und Äußerungsrecht steht im Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

Für mehr Informationen über uns und spannende Einblicke ins Recht folgt uns auf Instagram: @stiftungforumrecht. Oder besucht uns auf unserer Website.

Moderation: Marie-Elisabeth Miersch, Stiftung Forum Recht

Produktion und Redaktion: Das Team der Stiftung Forum Recht

Warum wir darüber sprechen

Juristische Themen haben oft das Image, schwer verständlich und hoch kompliziert zu sein. Dabei gehen viele Fragen des Rechts uns alle etwas an. Die Meinungsfreiheit zum Beispiel: Sie ist ein Grundrecht, das allen Bürger:innen in Deutschland entsprechend unserer Verfassung zusteht. Warum kommt es dennoch vor, dass Gesetze erlassen werden, die dieses Grundrecht unter bestimmten Bedingungen einschränken?

Abwechselnd an den beiden Stiftungsstandorten Leipzig und Karlsruhe sowie zu stets wechselnden Themen laden wir alle interessierten Menschen ein, über Gesetzgebung, Rechtsausübung und Rechtsschutz zu diskutieren. „Let’s Talk About Recht“ bietet Einblicke in verschiedene Bereiche des Rechts und des Rechtsstaats und zeigt anhand von Beispielen aus der Praxis, wo und wie sie im Alltag wirken und welche Bedeutung sie für unsere Gesellschaft haben.

Quellen & weiterführende Informationen:

Mehr über die Lüth-Entscheidung könnt ihr hier nachlesen.

Den genauen Wortlaut von Artikel 5 GG könnt ihr hier recherchieren.

Die Chronologie der Ereignisse im Fall Ofarim hat der mdr zusammengefasst.

Was an dem angeblich geplanten „Lügen-Verbot“ der neuen Koalition dran ist, erfahrt ihr hier bei LTO.

Mehr Hintergrundinformationen zur Verfassungsbeschwerde der Grünen-politikerin Renate Künast könnt ihr auch bei LTO nachlesen.

Den §188 StGB, über den in dieser Folge gesprochen wird, könnt ihr im genauen Wortlaut nachlesen.

Die ganze Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ findet ihr auf der Seite von Correctiv.

Was genau mit Litigation-PR gemeint ist, wird hier erklärt.

Wenn du mehr über das Wirken unseres Gesprächsgastes Torsten Feldmann erfahren möchtest, klicke dich durch seine Homepage.

Transkript anzeigen

Transkript: Let`s Talk About Recht - Der Live-on-Tape Podcast zur GesprächsreiheFolge #4: Darf man das sagen? Meinungsfreiheit, ihre Grenzen und das Recht

Hinweis: Bitte für [Regiehinweise] diese Klammer nutzen und kursiv

Marie-Elisabeth Miersch:

Let's Talk About Recht, der Live-on-Tape-Podcast zur Gesprächsreihe der Stiftung Forum Recht. Wir sprechen mit unseren Gästen über spannende Rechtsthemen, die Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit begegnen und uns alle etwas angehen. Hallo und herzlich willkommen zu Let's Talk About Recht. Mein Name ist Marie-Elisabeth Miersch. Ich bin Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung Forum Recht. Und freue mich sehr, dass Sie heute alle hier nochmal so zahlreich erschienen sind und sich die Zeit nehmen, mit uns über ein Thema zu sprechen, das im Alltag aller eine Rolle spielt, manchmal laut, manchmal unterschwellig. Wir sprechen heute über die Meinungsfreiheit, ihre Grenzen und das Recht. Also was darf ich sagen und was nicht? Wie hat sich das Äußerungsrecht durch die sozialen Medien verändert? Und wie arbeitet eigentlich ein Anwalt im Presse- und Äußerungsrecht? Diese Veranstaltung richtet sich, wie alle unsere Veranstaltungen, an alle Interessierten und nicht in erster Linie an ein juristisches Fachpublikum. Auch wenn wir uns natürlich sehr freuen, wenn auch unter Ihnen jetzt Rechtskundige vor Ort sind. Ich möchte bloß darum bitten, dass Sie es mir nachsehen, wenn ich immer mal wieder reingehe und unseren Gast auch nochmal zum besseren Verständnis wieder bitten werde, komplexe Rechtsbegriffe verständlich für alle zu erklären. So, und damit das heute auch ein echter Talk wird und nicht nur ich hier talke, finden Sie auf Ihren Plätzen Abstimmungskarten. Wir wollen sie aktiv mit einbinden, nicht nur in der Fragerunde zum Schluss. Und diese Abstimmungskarten mit Ja/Nein, mit denen können Sie sich dann zu gegebener Zeit beteiligen. Und jetzt freue ich mich ganz besonders, unseren heutigen Gast begrüßen zu dürfen. Er ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und berät unter anderem das Recherchenetzwerk Correktiv. Zu seinen Mandanten sehen auch T-Online, Campact, Reporter ohne Grenzen und viele, viele mehr. Hallo und herzlich willkommen, Thorsten Feldmann.

Thorsten Feldmann:

Vielen Dank. Vielen Dank, ich freue mich sehr, dass ich hier sein darf, ich bin total nervös, kein Witz. Ich bin häufiger bei solchen Veranstaltungen, aber zum ersten Mal ist meine Schwester da, die mich aus ganz anderem Kontext kennt. Deswegen, ich bin nervös.

Marie-Elisabeth Miersch:

Dann mache ich erst mal wieder weiter und stelle Sie noch ein bisschen weiter vor, damit Sie noch nervöser werden und das ganz unangenehm wird. Das ist home turf, das kann ich, das geht. Sie nicken ab bei allem, was ich jetzt sage zu Ihrer Vita. Sie sind seit 2000 Rechtsanwalt und fast so lange auch schon Partner von der renommierten Rechtsanwaltskanzlei JBB Rechtsanwälte in Berlin. Sie haben in Saarbrücken, Köln und L.A. studiert und ihr Referendariat in Berlin absolviert, eine Station unter anderem bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Sie sind seit 2007 Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und beraten deutsche und internationale Unternehmen in den Bereichen Technologie, Medien, Kommunikation. Aber ein besonderer Schwerpunkt bildet neben dieser normalen Beratung der Mandant:innen auch die juristische Gestaltung und Verteidigung digitaler Produkte und Geschäftsmodelle. Und das wäre sozusagen auch direkt meine erste Frage: Was macht denn ein Anwalt im Medienrecht genau? Wie sieht ihr Alltag aus?

Thorsten Feldmann:

Ist ein super Job. Also sehr, sehr, sehr vielfältig. Ich arbeite natürlich nicht allein. Ich habe auch Mitarbeitende. Aber der Tag, also man weiß morgens nicht immer genau, was passiert. Man hat so bestimmte To-dos, die man unbedingt erledigt haben will am Ende des Tages. Meistens schafft man so 75 Prozent, weil dazwischen halt irgendwie ganz spannende Sachen kommen. Es ist natürlich viel Telefonieren. Es ist dann aber auch so, gerade gestern ruft ein Mandant an und sagt, komm bitte sofort vorbei, wir haben hier, das ist schon ungewöhnlich, aber das passiert auch, komm bitte vorbei, wir haben eine delikate Angelegenheit, wollen wir nicht drüber telefonieren, wollen wir auch nicht irgendwie elektronisch das machen. Und die hatten dann ein Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz, an das sind die gekommen, haben gefragt, dürfen wir das veröffentlichen. So, das gibt's auch. Dann gibt's natürlich Dinge, muss ich morgen zu Gericht nach München? Ich wollte eigentlich heute Nacht eben bei meiner Schwester übernachten, das geht jetzt nicht, weil ich morgen früh um neun Uhr einen Gerichtstermin in München habe, das geht dann auch sehr schnell, dass sowas anberaumt wird. Und dann muss ich natürlich produzieren. Also wir Rechtsanwälte, wenn man streitet vor Gericht, dann passiert das meiste, also ähnlich wie im Bundestag, das Plenum ist immer leer und man denkt, da passiert irgendwie nichts. Nein, das passiert natürlich am Schreibtisch. Es werden natürlich dann viel Schriftsätze geschrieben, das dauert dann, das ist dann schon, muss man dann sehr viel Zeit am Schreibtisch verbringen und tatsächlich Dinge zu Papier bringen oder in den Computer schreiben.

Marie-Elisabeth Miersch:

Bevor wir uns jetzt mit den rechtlichen Fragen rund um die Meinungsfreiheit beschäftigen, möchte ich vorab eine kleine Rubrik anführen und der Einfachheit halber habe ich sie jetzt „Feldmann erklärt" genannt. Und würde Sie bitten, uns die nachfolgenden Begriffe vielleicht jeweils in einem Satz, auch wenn ich weiß, dass es schwierig ist, zu erklären. Aber dann haben wir alle dieselbe Grundlage, wenn wir ins folgende Gespräch einsteigen. Was versteht man denn unter dem Grundrecht der Meinungsfreiheit?

Thorsten Feldmann:

Also es gibt eine Reihe von Grundrechten im Grundgesetz, also unsere Verfassung heißt Grundgesetz. Es gibt eine Reihe von Grundrechten. Eines der vornehmsten Grundrechte ist tatsächlich die Meinungsfreiheit, also über allem schwebt natürlich die Menschenwürde aus Artikel 1.1. Und dann gibt es eine Reihe von weiteren Grundrechten, zum Beispiel zur wirtschaftlichen Betätigung, Eigentumsgrundrechte und so weiter. Aber unter diesen, im Rang hinter der Menschenwürde stehenden, Grundrechten Ist die Meinungsfreiheit was Besonderes, das hat das Bundesverfassungsgericht schon sehr, sehr früh gesagt, in der sogenannten Lüth-Entscheidung im siebten Band ab Seite 198. Die Meinungsfreiheit ist für die Demokratie schlechthin konstituierend. Also was heißt das? Nur wenn der Mensch sich seine Meinung bilden kann, ist er auch in der Lage, eine gute und ausgewogene und angemessene Wahlentscheidungen in den Wahlen zum Bundestag und zu den Landtagen zu treffen. Und die Grundlage der Meinungsbildung ist, dass eine Meinung gesagt werden darf. Das heißt also, Mängel in der Meinungsfreiheit schlagen unmittelbar auf die Demokratie durch. Und deswegen ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit besonders vornehm.

Marie-Elisabeth Miersch:

Super, nächster Satz. Was ist dann eine Meinungsäußerung oder man sagt auch Werturteil dazu?

Thorsten Feldmann:

Ja, also frei ist die Meinung in Wort, Schrift und Bild, das sagt Artikel 5. Also was ist eine Meinung? Ich bin der Meinung, die Farbe Rot ist schön, das ist natürlich eine Meinung, ja, aber der Strumpf ist Rot, ist das eine Meinung? Nein, das ist eine Tatsachenbehauptung. Also da geht es schon los. Also was ist eine Meinung? Und er sagt auch schon sehr früh die Rechtsprechung, also alles das, was vom persönlichen Meinen, Dafürhalten geprägt ist, Rot ist schön. Meinen, Dafürhalten, schön, das ist auf jeden Fall in der Meinungsfreiheit gedeckt. Das ist Meinung. Meinung ist aber auch die wahre Tatsachenbehauptung. Also die ist es auch sicher, die gehört auch in diesen Schutzbereich der Meinungsfreiheit rein. Und alles andere wird schon ein bisschen komplizierter. Da kommen wir vielleicht gleich noch zu.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, aber Sie haben Stichwort Tatsachenbehauptung genannt. Machen wir damit weiter. Was ist eine Tatsachenbehauptung?

Marie-Elisabeth Miersch:

Das sind Äußerungen, die dem Beweise zugänglich sind. Das ist die juristische Definition, aber es ist natürlich, das sind Äußerungen, die die Wirklichkeit beschreiben. Und die also deskriptiv eine Schilderung enthalten und die deswegen jeder auch wahrnehmen kann, die der menschlichen Wahrnehmung zugänglich sind, Zustände, Vorgänge, wie gesagt. Zustand roter Strumpf, ja, Zustand draußen 25 Grad Celsius ist eine Tatsachenbehauptung.

Marie-Elisabeth Miersch:

Vielen Dank. Und letzter Begriff oder drei Begriffe, die Strafdelikte sind: Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, wird häufig zusammenverwendet. Wie unterscheiden die sich?

Thorsten Feldmann:

Ja, also jetzt ganz kurz technisch dann, ja, also die Beleidigung ist die Kundgabe der Missachtung und Nichtachtung einer Person im Zwei-Personen-Verhältnis. Ich beleidige Sie oder Sie beleidigen mich. Es gibt viele Ansatzpunkte, um mich zu beleidigen, das könnte man machen und das ist eine Kommunikationssituation, die sich im Zwei-Personen-Verhältnis abspielt und die betrifft mich in meiner persönlichen Ehre. Ich fühle mich beleidigt, ich fühle mich herabgewürdigt. Also sagen wir mal, „Du bist ein Dummkopf“. Das wäre... ob das schon eine Beleidigung ist, hängt dann wiederum vom Kontext ab. Das Bundesverfassungsgericht hat auch mal „Dummschwätzer“ als zulässig erachtet, ist aber auch eine Meinung. Das ist die Beleidigung. Die üble Nachrede und die Verleumdung, die beziehen sich auf ein Drei-Personen-Verhältnis, nämlich auf den sozialen Geltungsanspruch der Personen. Ich erzähle eine Lüge über sie. Dann ist es entweder eine Beleidigung oder eine üble Nachrede. Und meistens geschieht das durch eine Tatsache. Wenn Sie über mich jetzt behaupten würden, ich würde hier nackt sitzen, dann wäre das eine unwahre Tatsachenbehauptung, die mich in meinem sozialen Geltungsanspruch als Anwalt wahrscheinlich beeinträchtigt. Das wäre eine üble Nachrede. Herr Feldmann ist bei uns nackt erschienen. Das war nicht. Und wenn Sie es wider besseres Wissen machen, dann ist es eine Verleumdung. Also was Gil Ofarim gemacht hat in Leipzig vor dem Hotel, das war eine Verleumdung. Er hat also gesagt, ich wurde in der Schlange im Hotel benachteiligt, weil ich den Davidstern um den Hals hatte. Das hat er gegenüber Dritten behauptet über den Hotelangestellten. Und dann war nur die Frage, hat er das bewusst gelogen oder war die Wahrheit nur nicht erweislich, so, und bei ihm war es tatsächlich jetzt bewusst. Er hat tatsächlich wider besseres Wissen, hat er diese falsche Behauptung erhoben. Das ist der schönste Fall der Verleumdung, kann man immer erzählen, kennt jeder, ist jedem sofort klar.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich würde Sie gerne die ganze Zeit weiterreden lassen. Ich fühle mich hier schon fast gar nicht mehr nötig. Aber danke, das war die Rubrik erstmal „Feldmann erklärt". Was immer wieder anklingt: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen". Das hat man vielleicht schon mal irgendwo gehört, das hat man vielleicht auch schon selbst gesagt. Und das beschäftigt ja aber auch die Juristinnen und Juristen, denn ob eine Aussage erlaubt ist, das haben Sie schon anklingen lassen, hängt im Äußerungsrecht ganz haarscharf davon ab, ob es sich eben um diese Meinungsäußerung handelt. Ist es eine Meinungsäußerung, die ich hier kundgebe oder eine Tatsachenbehauptung? Und wie unterscheidet jetzt das Recht dazwischen?

Thorsten Feldmann:

Ja, wir haben also erstmal einen ganz großen Bereich, in dem man ziemlich viel machen darf, nämlich dort, wo es keine Person direkt gegenüber gibt, über die etwas gesagt wird. Also wir brauchen erstmal ein gegenläufiges Recht. Wenn Sie zum Beispiel etwas Negatives über Bevölkerungsgruppen sagen, zum Beispiel. Oder über Geschlechter oder über Berufsgruppen. Dann ist das sehr, sehr weit zulässig, weil da auf der Gegenseite keine einzelne Person steht, die ein Grundrecht hätte, der Meinungsfreiheit was entgegenzusetzen hätte. Ja, zum Beispiel, ganz bekannt, Soldaten sind Mörder. Das ist also eine zulässige Meinungsäußerung, das darf man sagen, ja, und in diesem Bereich sind in Deutschland nur sehr, sehr wenige Dinge nicht erlaubt. Auch zum Beispiel, international, Denial of Holocaust ist in anderen Jurisdiktionen erlaubt, aber man hat hier eigentlich keine grundrechtliche Gegenposition, aber da sagt man, das ist eine Lüge, die nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Also das heißt aber in dem anderen Bereich, unterhalb der Grenze, wo es um Kollektive geht, und damit machen wir uns schwer im Bereich Hate Speech heute, da geht halt sehr, sehr viel. Das hat das Bundesverfassungsgericht damals bei dieser Soldaten-sind-Mörder-Entscheidung wahrscheinlich so nicht vorausgesehen, dass das natürlich dann nicht nur irgendwie staatliche Berufsgruppen trifft, sondern auch schutzbedürftige Gruppen. Also deswegen, da tun wir uns heute deshalb mit der Regulierung von Hate Speech so schwer, weil überall dort, wo Gegengrundrechte nicht betroffen sind, man sehr viel sagen darf. Man darf sogar auch lügen. Also es ist jetzt durch die Presse ein bisschen gegeistert, die neue Koalition wollte ein Gesetz erlassen, wo das Lügen verboten wird, das geht nicht so ohne Weiteres, weil es muss schon irgendwo grundrechtlich verankert sein, die Gegenposition. Aber überall dort, wo ich über tatsächlich lebende Menschen oder auch verstorbene Menschen, also über eine Person etwas sage, dann hat diese Person natürlich auch ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, das der Meinungsfreiheit entgegensteht. Also und dann haben wir einen Grundrechtskonflikt und dann wird es schon ein bisschen komplizierter. Dann geht es immer in eine Abwägung rein. Und was darf man nicht? Man darf nicht lügen über andere Leute, ja, ist klar. Und man darf über Leute keine Schmähkritik verbreiten. Das ist das, was zum Beispiel Frau Künast widerfahren ist. Das darf man auch nicht.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich wollte Sie gerade nach Beispielen nochmal fragen, um es mal deutlich zu machen, wie schwierig oft auch diese Abgrenzung ist. Deswegen mit diesem lapidaren Satz, „Das darf man ja nicht mehr sagen" oder so, dass das alles eben nicht so einfach ist. Und jetzt haben Sie so viele Beispiele genannt, deswegen würde ich jetzt sagen, machen wir das mal zusammen mit Ihnen als Publikum und da kommen Ihre Abstimmungskarten ins Spiel. Und zwar werden wir jetzt ein paar Äußerungen nennen, Sätze, Äußerungen und ihre Aufgabe ist es, zu bewerten, handelt es sich dabei um eine Meinungsäußerung, also ein Dafürhalten, ein Meinen, ist es Ihr Werturteil? Oder sind wir schon im Bereich der Tatsachenbehauptung? Das heißt, was objektiv überprüfbar ist. Sogar ist das ein Fakt, ist das so oder nicht, um das jetzt mal so salopp zu sagen. Sie dürfen anfangen, ich würde nur gerne sagen, ja ist Meinungsäußerung, nein ist Tatsachenbehauptung.

Thorsten Feldmann:

Der Kaffee ist kalt. Herrlich.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich bin das unserem Online-Publikum im Podcast nochmal schuldig, dieses Raunen zu erklären. Wir haben, glaube ich, 50-50.

Thorsten Feldmann:

Es freut mich, das ist ein sehr schlaues Publikum, denn es kann beides sein. Die Frage, wie eine Äußerung auszulegen ist, die ist natürlich streng kontextabhängig. Also im einen Kontext haben Sie natürlich eine Meinung, eine Äußerung, die als Meinung daherkommt, einen so starken Kern, dass sie eigentlich als Tatsachenurteil zu werten ist und umgekehrt, manchmal gibt es auch Tatsachenäußerung, kalt, kann auch eine Meinungsäußerung eben sein. Und dabei ist dann insbesondere auch die Position des sich Äußernden zu betrachten. Also in welcher Position äußert er sich denn hier? Ich hatte eine Politikerin neulich, die sich im Wahlkampf geäußert hat, sehr emotionalisiert und da hat sie was gesagt, was ich dann als Tatsache angesehen habe, da habe ich gesagt, nee, ist ja Wahlkampf und da wird sowieso in die Tasten gehauen, darf man nicht alles wörtlich nehmen. Also sie haben sehr gut geantwortet, das ist perfekt, ja, es kann tatsächlich beides sein, es hängt vom Kontext ab.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich möchte auch eins sagen. Und zwar: „Steindummer, kenntnisloser und talentfreier Autor" im Rahmen einer Buchrezension. Eine Meinung oder eine Tatsache? Einhellig Ja für die Meinung.

Thorsten Feldmann:

So, dann frage ich jetzt mal zurück, wenn man über mich hier behauptet, ich sei kenntnislos, ja, kenntnislos. Ich habe keine Ahnung, ja, da könnte man sagen, okay, das ist jemand, der hat... Aber natürlich hier, was ist ausschlaggebend für das Werturteil? Das ist auch der Begriff „steindumm". Also Steine können gar nicht dumm sein, das heißt also, das ist keine faktische Schilderung, das heißt, da würde man sagen, das bereitet schon sozusagen die Startbahn ins Werturteil rein. Darf ich nochmal fragen, das war tatsächlich eine Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht, haben Sie mir eben ausgesucht aus den 90er Jahren.

Marie-Elisabeth Miersch:

Eine Rezension über Heinrich Böll, erschienen in einer Zeitung.

Thorsten Feldmann:

War das denn zulässig oder nicht?

Marie-Elisabeth Miersch:

Nochmal, „Steindummer, kenntnisfreier Autor"? „Kenntnisloser und talentfreier Autor". Genau, das wäre jetzt die nächste Frage: Zulässig, unzulässig? Zulässig Ja und zulässig Nein. Wir haben doch drei, vier nein, der Rest, Sie sehen es ja auch nicht, ja, aber die meisten sagen, es war zulässig.

Thorsten Feldmann:

Das Bundesverfassungsgericht hat darin eine Schmähkritik erblickt, denn, das ist der nächste Punkt, ein Werturteil, das verletzen soll und nicht der Auseinandersetzung in der Sache dient, sondern der Verletzung der Person, ist unzulässig. Das ist die nächste kontextabhängige Frage, da muss natürlich dieser Text ausgelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht ist hier zu diesem sehr seltenen Schluss gekommen, das ist eine Schmähkritik. Wenn man bedenkt, was die Gerichte bei Frau Kühner ist noch durchgewunken, haben das schon sehr erstaunlich.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich würde noch eins sagen, „Dr. Müller ist ein Pfuscher, der meine Zähne ruiniert hat." Meinung oder Tatsachenbehauptung? „Dr. Müller ist ein Pfuscher, der meine Zähne ruiniert hat." Ja, wieder durchwachsen. Und Sie sagen ja?

Thorsten Feldmann:

Meinungs-, äh, Werturteil, ja. Also teilweise.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, es wurde, glaube ich, aber dann als Meinungsäußerung, also als Schwerpunkt sozusagen der Aussage als Meinungsäußerung gewährt.

Thorsten Feldmann:

Ja. Schwerpunkt Meinungsäußerung würde ich sagen, genau, mit einem Tatsachensubstrat, nämlich hat meine Zähne ruiniert, das ist ja auch was, was tatsächlich dem Beweise zugänglich wäre, also sind die Zähne kaputt? Und das ist dann das berühmte Werturteil mit Tatsachenkern. Kann man schon sagen, ist ein Pfuscher, wenn die mitgeteilte zugrunde liegende Tatsache stimmt. Und das ist dem Beweise zugänglich. Ich habe mal ganz, das war eine sehr unterhaltsame Phase in meinem Leben, da hab ich ein Portal vertreten, in dem Schüler ihre Lehrer benoten konnten. Und da ging es auch, gab es viele gerichtliche Auseinandersetzungen, da ging es auch noch um die Frage, hier an dieser Schule werden Schüler psychisch und physisch misshandelt. Da ist dann die Frage, ist das, diese psychische Misshandlung, ist das vielleicht ein Werturteil? Und tatsächlich hat das Gericht das auch eher als eine gemischte Äußerung angesehen und dann tatsächlich Beweis darüber erhoben durch Vernehmungen von Schülern, was da geschehen ist. Ob dieses Werturteil durch Tatsachen gestützt ist. Also das sind so Mischformen und da würde ich das auch einordnen und da neigt dann die Rechtsprechung dazu, dass überwiegend als Werturteil anzusehen, dann aber auch über den Tatsachenkern Beweis zu erheben. Das gibt's schon.

Marie-Elisabeth Miersch:

Auch bei Ihren Beispielen, ich hätte jetzt noch eins gefragt, das mache ich jetzt noch schnell, weil die Stimmung so gut war. „Meiner Meinung nach hat der Arzt keine Ahnung von seinem Fach." „Meiner Meinung nach hat der Arzt keine Ahnung von seinem Fach." Ja, Meinungsäußerung, oder? Das ist doch spannend. Fast alle sind der Ansicht, dass es eine Meinungsäußerung ist.

Thorsten Feldmann:

Und?

Marie-Elisabeth Miersch:

Es wurde als Tatsachenbehauptung qualifiziert. Wer sagt sowas? Ich suche Ihnen noch die Quelle raus. Dass man sich nicht unter diesem Deckkern dieser „Meiner Meinung nach..." sozusagen von diesem Tatsachenkern befreit, von dem wir eben gesprochen haben.

Thorsten Feldmann:

Ja, aber da war die Person schlecht vertreten, weil wie soll denn ein Laie beurteilen können die Fachkenntnis eines Fachmanns? Aber gut.

Marie-Elisabeth Miersch:

Dann hat unser Publikum ein besseres Rechtsempfinden. Ich hätte nochmal ein ganz anderes Thema und zwar 2024 veröffentlichte ein Journalist ein manipuliertes Foto von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die ein Schild in den Händen hielt mit der Aufschrift, „Ich hasse die Meinungsfreiheit". Vielleicht können Sie sich daran noch erinnern. Das Amtsgericht Bamberg verurteilte ihn wegen Verleumdung nach § 188 des Strafgesetzbuches unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Was hat das ausgelöst? Also sogar das britische Magazin The Economist hat dann getitelt „Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland". Doch gleichzeitig, wir haben auch heute schon vom Bundesverfassungsgericht gehört, betonte dieses schon 1955, dass gerade doch Verleumdung demokratiegefährdend sei, wenn Politiker:innen aus der Öffentlichkeit gedrängt werden. Das haben Sie vielleicht auch mitbekommen, 2020 wurde dieser Paraph 188 StGB auch noch verschärft und um diese Politikerbeleidigung ergänzt, um eben diese Persönlichkeiten gezielter vor Hass und Hetze zu schützen. Jetzt die Frage an Sie, Herr Feldmann, wie sehr dürfen sich Politiker:innen wehren oder vielleicht ganz konkret gefragt, wen darf ich stärker kritisieren, meinen Nachbarn oder einen Politiker?

Thorsten Feldmann:

Und ganz klar Politiker, das ist klar, also unwahre Tatsachenbehauptungen muss niemand hinnehmen, das ist klar, auch Politiker nicht. Genauso Politiker haben allgemeines Persönlichkeitsrecht, haben Privatsphärenansprüche und so weiter. Und da passiert halt schon sehr, sehr viel, was nicht geht. Aber natürlich grundsätzlich dürfen Politiker stärker kritisiert werden. Auch das ist schon eine ganz frühe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit gewesen. Damals ging es um Franz Josef Strauß, der wurde als „Zwangsdemokrat" bezeichnet von jemandem, also eine sehr frühe Entscheidung. Da hat man gesagt, da hatte er sich gegen gewehrt, also jemand, der sich nur „um der Macht willen der Demokratie beugt", so ungefähr, „nimmt den Zwang der Demokratie hin, um Macht zu haben“. Hat er gegen geklagt, hat er verloren. Und warum? Weil das Bundesverfassungsgericht auch da zu Recht gesagt hat, dass in Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur sehr wenig untersagt werden kann. Das gilt insbesondere im Wahlkampf. Und ich meine auch, das war zu Wahlkampfzeiten, glaube ich, auch. Also Politiker müssen mehr ertragen. Ich finde, das ist jetzt persönliche Meinung von mir, da gibt es aber natürlich überhaupt keine einfachen Wahrheiten in dem Bereich. Also dieser Paragraf 188 wird sehr stark kritisiert, weil er Politiker stärker schützt. Ja, es sind also Menschen, die sich politisch betätigen und in der Öffentlichkeit stehen, wenn die beleidigt werden und das ist aber eine zusätzliche Voraussetzung noch, dass diese Beleidigung sie in ihrem Wirken beeinträchtigt. Das heißt, da muss es noch eine objektive Folge der Äußerung geben. Also das ist jetzt nicht so breit, wie man dann meint. Irgendwie, wenn ich einen Politiker beleidige, werde ich stärker bestraft. Nein, dieses zusätzliche Element, das bei der normalen Beleidigung fehlt, das muss noch gegeben sein, war in dem Fall, ich kenne es auch noch aus der Zeitung, war in dem Fall gegeben. Zu Politikern muss man allgemein sagen, ja, die müssen mehr ertragen, finde ich auch okay, ja, prinzipiell okay. Andererseits müssen wir auch ein bisschen darauf achten, dass wir noch politisches Personal finden, die sich diesem Meinungsklima auch aussetzen wollen. Das ist auch sehr schwierig. Und da finde ich es auch prinzipiell richtig, dass man auch gesetzgeberische Anreize durch sowas schafft. Ob das jetzt der Stein der Weisen ist, I don't know, weiß ich nicht, aber das ist sicherlich rechtspolitisch eine sehr schwierige Entscheidung. Klar, dass dann aus dem Ausland Blätter darüber herfallen, ist dann aber auch absehbar.

Marie-Elisabeth Miersch:

Sie hatten gerade die Persönlichkeitsrechte, und zwar das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch als Grundrecht und, das hatten Sie schon angedeutet, die müssen mit der Meinungsfreiheit, diese Grundrechte müssen immer abgewogen werden, wir müssen sie in eine Schale legen. Was wiegt denn in dem Sinne mehr? Und das in einen Ausgleich zu bringen, dass das schwierig ist, gerade, das hatten Sie auch vorhin gesagt, wenn nicht immer nur das Gesagte entscheidend ist, sondern der Kontext, wann, wo, wie sage ich das? Und neue Phänomene dann noch hinzutreten, an die sich Juristen dann auch erstmal gewöhnen müssen, wie zunehmende Hetze von den Politikerinnen und Politikern, wie gehen denn die Gerichte mit der Abwägung um zwischen Meinungsfreiheit und diesem persönlichen Ehrschutz auf der anderen Seite?

Thorsten Feldmann:

Also das ist sehr uneinheitlich. Jetzt bewegen wir uns in die Niederungen der Pressekammern der Landgerichte. Es gibt Gerichte, die stehen in dem Ruf strenger zu sein zur Meinungsfreiheit. Es gibt Gerichte, die stehen in dem Ruf liberaler zu sein. Zum Beispiel das Landgericht Hamburg soll besonders streng sein. Ausgewogener soll das Landgericht München sein. Also... Warum ist das so? Das ist so, dass dort Menschen sitzen, die auch richterliche Unabhängigkeit genießen. Und die Frage... im Äußerungsrecht ist nahezu jede Frage durch einen Abwägungsprozess gekennzeichnet, wo jeder Mensch auch seine persönliche Haltung mit einbringt. Ich verteidige ja relativ viele Medien gegen rechtsradikale Anwürfe, sage ich mal, oder Angriffe von rechts. Da bin ich manchmal überrascht, wie liberal dann Richter dann doch auf einmal sein können auch. Da habe ich mich gewundert. Aber das sind halt Menschen. Das sind drei Menschen, die da sitzen, die beraten einen Fall. Und genauso wie wir hier unterschiedlicher Meinung sind, sind auch die Spruchkörper anderer Auffassung. Und deshalb, das möchte ich halt sagen, es gibt halt nicht die eine Richtung, wie Richter das handhaben. Das sind, hier eben 50-50, genauso geht es dann bei Gericht auch 50-50 aus. Tendenziell ist die Meinungsfreiheit vor Gericht schon unter Druck, habe ich den Eindruck. Also es gibt sehr viele, die Fälle, die kennen Sie auch, die geistern durch die Presse. Das sind MeToo-Fälle oder was Das wäre noch irgendwie gerade so ein bisschen en vogue. Also MeToo ist ein gutes Beispiel. Da ist die Rechtsprechung tendenziell eher betroffenenunfreundlich. Und da steht die Rechtsprechung dann auch deswegen unter Druck. Also eine Frau, die heute behauptet, ihr sei etwas widerfahren, die hat vor Gericht sehr, sehr schlechte Chancen. Tendenz geht tatsächlich hin zur Untersagung.

Marie-Elisabeth Miersch:

Warum ist das so?

Thorsten Feldmann:

Ja, ganz kurz muss ich auch sagen, das ist natürlich, weil der Richter auch ein Mensch ist, der beurteilt dann natürlich auch Dinge, die er eigentlich nicht beurteilen darf. Also wenn er eine Berichterstattung hat, die er vielleicht nicht schön findet, darum geht es ja nicht, ja, es geht ja um die Frage, ob es zulässig ist, ne, also wenn man besonders hart kritisiert wird, das liest man halt nicht gern. Und das ist natürlich dann ein natürlicher Schutzeffekt, sich vor den Betroffenen zu stellen und zu sagen, ha, hier ist die Meinungsfreiheit aber übertreten. Das ist ein menschlicher Schutzeffekt.

Marie-Elisabeth Miersch:

Sie hatten gesagt, dass bestimmte Gerichte, die stehen da in so einem Ruf und man sage und man könne, würden Sie das auch so unterschreiben aus Ihrer eigenen Erfahrung?

Thorsten Feldmann:

Nee, ich habe schon überall verloren. Zum Beispiel das Landgericht Hamburg steht in einem starken Ruf, Vieles zu untersagen. Würde ich so nicht sagen, aber Kläger gehen da halt einfach gerne hin. Also ich kenne die alle seit Jahrzehnten teilweise, die Richter, die das machen und ich würde denen nicht unterstellen, dass die systematisch die Meinungsfreiheit missachten.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja, auf so einen Aspekt wollte ich nochmal ein, wenn man das nochmal zusammenfasst. Wie sieht es denn aus, weil wir gerade noch bei Politiker:innen waren, darf ich denn einem Politiker, der Mitglied einer Partei ist, die, sag ich jetzt mal, vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wurde, dürfte ich Mitglied einer solchen Partei einen Rechtsextremisten nennen? Die Oberfrage ist Gruppierungen allgemein.

Thorsten Feldmann:

Also ich würde mich insoweit schützend vor diese Person stellen, dass ich sage, nur wegen der Mitgliedschaft nicht. Ja, also das, das würde nicht gehen. Ich glaube, ich würde nicht aufgrund der bloßen Gruppenzugehörigkeit ein solch wirklich schweres Unwerturteil über eine Person verhängen, gilt natürlich auch für das andere politische Spektrum, ja, nicht jedes Antifa-Mitglied ist irgendwie linksextrem, also um es mal umgekehrt zu sagen. Also es muss dann schon von der Person noch ein bisschen was dazukommen. Also ich meine, man kann natürlich auch härter noch über Leute urteilen, wenn sie halt ein entsprechendes Verhalten an den Tag legen, und deshalb darf man auch, durfte man in einem Fall, Björn Höcke als auch als Nazi bezeichnen, was nochmal ein bisschen härter ist als gesichert rechtsextrem, glaube ich. Da geht das Grundgesetz tatsächlich von der Person aus, von dem Wert, die diese Person hat, diese Person hat das Persönlichkeitsrecht und deshalb müsste man auf jeden Fall dann noch weitere persönliche Merkmale bei ihr finden, um diese Äußerung zu rechtfertigen.

Marie-Elisabeth Miersch:

Alles klar. Was früher ja meistens hinter verschlossenen Türen irgendwie diskutiert wurde oder bei Stammtischen, das erreicht ja heutzutage ganz andere Dimensionen. Sie hatten eingangs schon von Hate Speech gesprochen, Hassreden, Fake News, Falschinformationen. Das sind so Begriffe, die immer mehr an Bedeutung gewinnen, wenn es um Äußerungen in den sozialen Netzwerken geht, wobei gerade den Begriff Hate Speech, das hatten Sie vorhin auch schon gesagt, fälschlicherweise häufig schon als Synonym für jede strafbare Äußerung im Netz auch mal gewertet wird für digitale Gewalt, für dass wir wirklich im Rahmen des Strafbaren sind. Wie ist das jetzt so rechtlich? Auf welche neuen Herausforderungen stößt denn das Äußerungsrecht, wenn es um Plattformen wie TikTok, Instagram oder so geht? Werden da die Grenzen des Sagbaren in sozialen Medien anders bewertet als zum Beispiel bei klassischen Printmedien?

Thorsten Feldmann:

Es gibt natürlich strengere Beurteilungen von Äußerungen und überraschend laxe Beurteilungen. Eine richtige Systematik habe ich da noch nicht richtig kennen können. Aber zunächst mal einen Schritt zurück, Hate Speech. Großer Irrglaube, Hass ist keine Meinung. Das ist so nicht richtig, ja. Also wenn man mal das Antonym für Hass nimmt, Liebe ist keine Meinung. Das macht irgendwie auch nicht so richtig viel Sinn. Deswegen auch Hate Speech als generell verbotene Kategorie gibt es nicht, gibt es auch in den USA beispielsweise nicht, gibt es bei uns auch nicht. Bei uns gibt es eben bis an die Grenze der Volksverhetzung. Wie ich das eben gesagt habe, „Soldaten sind Mörder", ist sehr, sehr viel zulässig. So, soziale Netzwerke, da haben wir ja nicht nur die Meinungsfreiheit, ja, da haben wir auch faktische Mechanismen, nicht löschen, Punkt. Nicht eingreifen als Plattformbetreiber gibt es ja eine große bekannte, die einen sehr guten Ruf dafür hat, nicht einzugreifen, weil der Eigentümer dieser Plattform ein besonders libertär denkender Mensch ist. Dort aber bei allen sozialen Netzwerken haben sie nochmal die sogenannten Community Guidelines, die natürlich dann in mancherlei Hinsicht dann auch nochmal strenger sind. Also will ich jetzt gar nicht mal so über Persönlichkeitsrechte sprechen, sondern zum Beispiel Jugendschutz. Bei uns ist der Jugendschutz irgendwie so ein bisschen laxer als in den USA zum Beispiel, während wir schneller ein Problem bekommen mit Äußerungen, wo es mit Waffen oder mit Gewalt irgendwie eine Rolle spielt, das ist dann dort ein bisschen großzügiger. Also das heißt, sie kriegen dann ein kulturell übergestülpt nochmal neues Regelwerk, also nicht nur das Persönlichkeitsrecht, nicht nur den Jugendschutz, sondern sie kriegen dann Community Guidelines, die wahrscheinlich irgendwo in Sunnyvale, Kalifornien erfunden werden. Und dort haben Sie nochmal ein weiteres Regelungskonzept, das dann zu einer weiteren Unübersichtlichkeit, würde ich mal sagen führt. Und sozusagen viel mehr erlaubt in sozialen Netzwerken oder es ist mehr verboten, es ist halt verworren.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ja. Naja, und wahrscheinlich auch, weil noch nie so viele Menschen von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben wie heute heutzutage wahrscheinlich.

Thorsten Feldmann:

Ja, auch das, ja.

Marie-Elisabeth Miersch:

Wir haben als Stiftung auch einen Social-Media-Account und wir hatten mal bei Instagram gefragt, was sozusagen die Community, wie man sie nennt, schon immer mal von einem Anwalt im Presse- und Äußerungsrecht hören wollte oder wissen wollte und das bringt mich sozusagen zu unserer kleinen Rubrik „Dos and Don'ts im Internet", wie man sich verhält. Die Frage, die uns...

Thorsten Feldmann:

Da werden klare Antworten verlangt.

Marie-Elisabeth Miersch:

Nö, wir wissen jetzt auch, das kennt unser Publikum, hat das auch schon mal gehört, bei Juristen kommt ganz oft, es kommt drauf an und so. Ich fange mal an. Also die Frage, die uns gestellt wurde, war: "Worauf muss ich achten, wenn ich meine Meinung auf Social Media öffentlich teilen will?"

Thorsten Feldmann:

Es sollte eine gute Meinung sein, also ne. Also eine eigene Meinung kann man natürlich immer sagen. Die Frage ist dann, glaube ich, weniger, ob zulässig oder unzulässig, habe ich ja gesagt. Also das Problem besteht natürlich immer bei der Übernahme faktischer Informationen. So, das ist dann aber nicht eine Meinung unbedingt, sondern das ist, wenn ich irgendwie irgendwo was lese und das weiterverbreite, dann hafte ich dafür vielleicht. Es sei denn, ich habe es aus einer seriösen Quelle, der nicht widersprochen wurde, das sogenannte Laienprivileg. Aber natürlich, ich hafte für faktische Informationen, die ich in einen eigenen Tweet, ein eigenes Posting, eigene Veröffentlichung reinpacke, für die hafte ich. Und es warten auch nur Leute darauf, dass dort faktisch falsche Informationen verbreitet werden. Ansonsten sollte man tatsächlich von Beleidigungen absehen und das ist, glaube ich, ganz gut, wenn man da das nochmal, bevor man auf das draufklickt, nochmal durch den persönlichen Filter laufen lässt, ob man das wirklich auch bei sich vielleicht gerne irgendwo lesen würde. Was du nicht willst, was man dir tut... das ist eigentlich überall eine ganz gute Regel.

Marie-Elisabeth Miersch:

Gibt es da so No-Go-Begriffe, bei denen gerade auch Gerichte schon hellhörig werden?

Thorsten Feldmann:

Ja, alles, was im Fäkalbereich sich abspielt, geht nicht, ja, mit Beleidigungen unter geschlechtsbezogenen Handlungen, geht auch nicht. Selbst Tiere sind manchmal auch schon schwierig, ja, also Tiervergleiche selten gut. Wenn Sie in einem arabischen Kulturkreis sind, also gehen Sie mal durch Kreuzberg in Berlin und sagen Sie zu jemandem „Du Hund". Das ist für den eine ganz grauenhafte Beleidigung.

Marie-Elisabeth Miersch:

In Ungarn ist das, glaube ich, auch der Gott. Also jede Kultur hat so ihren Aspekt der Beleidigung. Was tun, wenn jemand Unwahrheiten über mich verbreitet im Netz?

Thorsten Feldmann:

Viel Geld in die Hand nehmen zum Anwalt bringen. Nein, natürlich, sie haben sehr viele Möglichkeiten. Also es gibt ja die, jetzt, wir haben ja ein neues Digital-Gesetzbuch, den Digital Services Act, der sieht ja vor, dass, jede Plattform einen sogenannten Moderationsprozess haben muss und da gibt's welche, die funktionieren schon wirklich sehr, sehr gut. Sie haben dann erstmal da ein Bot am Rechner, also nicht am Telefon, sondern am Rechner, das ist ein Bot, der prüft das dann, der prüft das aber erstaunlich gut. Also ich würde dann wahrscheinlich eine falsche Behauptung würde ich erst mal melden, ja, über die Meldefunktion melden. Und wenn das dann ein bisschen hartnäckiger ist, können Sie natürlich auch, haben Sie Ansprüche gegen denjenigen, der das in die Welt gesetzt hat. Ich meine, den müssen Sie natürlich kennen, ne. Und dann können sie ganz normal, das nennt sich dann Abmahnung, das ist die Aufforderung zur Abgabe einer strafbewertenden Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, dafür muss der dann auch Geld zahlen, das ist das besonders empfindliche und so nehmen die Dinge dann ihren Lauf. Sie haben nach meinem Tagesablauf gefragt. Ja. Das ist das, was ich täglich mache. Also ich verteidige meistens gegen Abmahnungen, ich spreche weniger selbst aus.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich möchte noch ein bisschen mit Ihnen über Ihre Fälle und Tätigkeiten sprechen, soweit Sie können. Können Sie noch mal vorab uns vielleicht noch mal wie so eine kleine Zusammenfassung geben, weil ich weiß nicht, ob das jetzt schon noch mal rausgekommen ist, wo wirklich die Grenze der Meinungsfreiheit liegt?

Thorsten Feldmann:

Die ist halt leider, leider fließend. Also ich kann Ihnen sagen, was sind die wesentlichen Kriterien? Die erste Frage ist, ist es eine interpersonale Auseinandersetzung? Ist es eine Privatfehde? So, da dürfen Sie natürlich, wir haben neulich einen Fall gehabt, da zoffen sich zwei bald ehemalige Eheleute über Social Media. Da hat die Öffentlichkeit zu suchen, da darf man relativ wenig sagen. Also die Frage, ist es wirklich nur ein Zwei-Personen-Verhältnis? Nächste Frage, ist es was, was die Öffentlichkeit wesentlich berührt? Da darf man da natürlich mehr sagen als nur in diesem interpersonalen Verhältnis. Hat der Äußerungsgegner, die Äußerungsgegnerin, so nennen wir sie mal, ja, hat sie vielleicht Anlass zu dieser Äußerung gegeben? Hat sie selbst irgendwas in die Welt gesetzt, was ein Recht auf Gegenschlag rechtfertigt, das gibt es auch vom Bundesverfassungsgericht, hat es auch schon sehr früh gesagt. Hat derjenige, der von der Äußerung betroffen ist, diejenige, die von der Äußerung betroffen ist, hat sie vielleicht sonst einen Anlass gegeben, ja? Hat sie irgendeine Äußerung in die Welt gesetzt, für die man nicht nur Zuspruch erwarten darf. Das sind alles, also die Kriterien sind unendlich. Und je mehr von diesen öffentlichkeitsrelevanten Kriterien sind und je mehr der Betroffene sich selbst da reingeworfen hat in diese Debatte, desto mehr darf man auch sagen. Und das Verfassungsgericht, wie gesagt, hat mal zu einem Typen gesagt, "Dummschwätzer" darf man über den sagen, so viel wie der in die Welt gesetzt hat. Ja, das geht schon. Würde ich jetzt für mich, also ich fühlte mich da beleidigt, wenn man das über mich sagen würde. Also. Es ist leider keine digitale Entscheidung, es ist leider keine Eins oder Null, es ist leider kein Schwarz oder Weiß, es ist immer eine Abwägungsfrage.

Marie-Elisabeth Miersch:

Jetzt würde ich gern nochmal Sie, liebes Publikum, nach Ihrem Empfinden fragen, und zwar zum Thema Pressefreiheit. Haben Sie das Gefühl, dass es in Deutschland für die Presse schwieriger wird oder schwerer geworden ist, frei zu berichten? Gerne auch nochmal mit den Zetteln, also überwiegend Ja, wir haben aber auch einige Nein-Äußerungen. Deutschland ist aktuell in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen einen Platz zurückgefallen. Als Hauptgrund werden ein zunehmend feindliches Arbeitsumfeld für Journalist:innen, insbesondere durch rechtsextreme Angriffe genannt. Weitere Herausforderungen betreffen die Berichterstattung über den Nahostkonflikt sowie die wirtschaftlich angespannte Lage der Medienhäuser. Wie bewerten Sie aus anwaltlicher Perspektive die Entwicklung der Pressefreiheit?

Thorsten Feldmann:

Ja, das ist jetzt keine anwaltliche Perspektive, das ist ja eine empirische, das ist ja eine faktische, also dem würde ich jetzt auf jeden Fall mal Glauben schenken. Zu Corona-Zeiten hatte ich auch Aufträge von Verlagen, tatsächlich Fotografen und die Feldreporter, die auf solchen Demonstrationen sind, zu schützen. Oder dann Ansprüche für die durchzusetzen, Strafanzeigen zu erstatten und so. Das sind Menschen wie ich, Familienväter, Menschen, die Verantwortung tragen in einem Leben außerhalb ihres Berufs, die dann natürlich sagen, nee, das ist mir nicht wert. Das überlegt man sich dann natürlich und sie haben dieses Bild von dem Journalisten, der stahlhart in sowas reingeht, das stimmt ja auch nicht immer. Also das hat natürlich Effekte, auf jeden Fall. Und was die Nahostproblematik angeht, auch da habe ich die empirische Grundlage, aber da wird die politische Auseinandersetzung mit Mitteln geführt, die... das ist kein Seminar, ja, also und das ist dann auch schon härter, da wird es dann auch körperlicher, glaube ich, also wenn, Menschen sehr laut schreien permanent auf einen Journalisten, dann hat das einen Effekt. Und ich glaube schon, dass da natürlich die Pressefreiheit dadurch unter Druck gerät. Das sind jetzt, interessanterweise sind das keine staatlichen Maßnahmen, die die Pressefreiheit unter Druck senden, sondern das sind gesellschaftliche Entwicklungen. Und da muss man natürlich, wüsste ich jetzt nicht, dass die in anderen Ländern schwächer sind als bei uns. Das ist halt insgesamt ein gesellschaftliches Phänomen.

Marie-Elisabeth Miersch:

Ich hatte am Anfang eingangs Ihre Mandanten ein bisschen aufgezählt und da ist das Recherchenetzwerk Correktiv gefallen. Und das ist den meisten von Ihnen wahrscheinlich aus der Investigativrecherche "Geheimplan gegen Deutschland" bekannt, die letztes Jahr im Januar veröffentlicht wurde und ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten und Politikern in Potsdam aufdeckte. Sie vertreten Correktiv nicht nur derzeit auch vor Gericht, sondern haben das Unternehmen bereits vor der Veröffentlichung der Recherche als presserechtlicher Lektor beraten.

Thorsten Feldmann:

Ja, das ist aber üblich. Das ist auch Teil meines Jobs. Erzählen Sie mal von dem Teil Ihres Jobs. Wie sieht die Arbeit aus als presserechtlicher Lektor? Ich habe ja schon gesagt, es ist recht bunt, es ist recht spannend. Also wir können das von diesem Einzelfall auch lösen. Also das ist ja, wenn Sie Investigativrecherchen begleiten, dann ist die erste Frage immer, hat die Geschichte denn im Hauptübrigen Öffentlichkeitswert, um über eine Person zu berichten? Fragen, die sind hochspannend. Neulich war es ein Fußballmanager, der im Verdacht stand, an jugendlichen Fußballspielern körperliche Untersuchungen durchgeführt zu haben. Da weiß man dann genau, also wenn das rauskommt und er identifizierbar ist, dann ist er platt. Oder es gibt eine Wissenschaftlerin, die im Ruf steht, für China, an einer Universität für China irgendwie zu spionieren. Das sind so Fragen vor der Veröffentlichung, weit vor der Veröffentlichung, wo man sagt, darf man darüber überhaupt in irgendeiner Weise individualisierend berichten? Das ist ganz am Anfang und das ist schon eine Rechtsfrage. Ja, und dann im Zuge der Recherche, dann sehen Sie natürlich da Quellen oder dann gibt es Quellen, die sind vielleicht, da stellt man sich die Frage, wo hat man das her? Darf man das erzählen, wo man es her hat? Darf man die Quelle preisgeben? Wie schützt man eine Quelle? Also bei dem Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz war zum Beispiel die Frage, wenn wir jetzt was daraus veröffentlichen, werden dann Informanten vielleicht offenbart, denen man Informantenschutz zugesagt hat. Das sind sehr viele technische Fragen, wie sichere ich das vor einem Zugriff von außen, die Erkenntnisse, die ich habe, also das ist, da spielt schon sehr viel Musik, das ist schon sehr schön, also das ist alles was, was man dann nicht lesen kann und sehr viel kann man tatsächlich auch nicht lesen, weil man sagt, nee, das dürfen wir nicht veröffentlichen. Also diese Fußballmanager-Geschichte, das war schon knapp. Weil es halt eben der Verdacht, die Verdachtsberichterstattung vielleicht noch nicht gerechtfertigt wäre, weil die Verdachtsmomente noch nicht ausreichen. Und dann streichen Sie da durch. Sie lesen den Text und dann? Ja, die sagen dann, das ist für ein juristisches Lektorat, also um aus dem Nähkästchen zu plaudern, ich meine ein Journalist, der irgendwie meint, auf Gold gestoßen zu sein, ja, der will das natürlich auch weiterverfolgen, der will dann raus. Das ist schon so. Ja, das ist so. Und dann ist der da ganz begeistert und sagt dann, guck mal, was ich da gefunden habe und so was. Ja, ja. Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ob du das jetzt schon machen solltest, ne, such mal noch ein bisschen weiter. Und dann denken die natürlich auch und dann sagen die, ja, aber das Blatt XY wissen wir auch, das ist auch schon dran, ne, und wir wissen, ne. Wir wollen die Ersten sein, also das sind so Sachen, der Hauptmann, also wir Juristen sind dann häufig tatsächlich eine Bremse. Und bei dieser spezifischen Recherche, da war es so, da habe ich nicht viel gebremst, aber viel an Formulierungen auch mitgearbeitet.

Marie-Elisabeth Miersch:

Und wie ist es, wenn, wie bei Correktiv, so ein politisch aufgeladener Fall, wie bereiten Sie sich darauf schon vorher vor, also auch nur juristisch oder auch strategisch irgendwie kommunikativ?

Thorsten Feldmann:

Ja, leider haben wir uns da nicht so richtig drauf vorbereitet, muss ich sagen. Hat mich auch ein bisschen überrascht, was dann daraus geworden ist. Hat glaube ich alle ein bisschen überrascht. War ein Coup, glaube ich, so Anfang letzten Jahres, sehr viel Drittberichterstattung, sehr viel Fokus drauf, das hat sich, glaube ich, dann niemand erwartet. Und das Interessante an dem Fall war dann, wir hatten ein paar Rechtsstaatlichkeiten drüber und wir haben im Wesentlichen alles gewonnen. Wir hatten von, es gab fünf, sechs Unterlassungsanträge, ich weiß nicht mehr genau, in einem Zipfelchen haben wir verloren. Und, und dann habe ich gedacht, gut, ich habe dann zwischendrin auch gedacht, da war ich auch nervös natürlich, das ist dann auch, da sieht man es wichtig, es gucken viele Leute auf diese Gerichtsverfahren und da denkt man, okay, der künftige Diskurs wird jetzt auch dadurch beeinflusst, wie du persönlich deinen Job machst. Das ist schon, das motiviert, ja. Da sitzt man dann auch lang abends und hat sehr viel Energie. Und da gewinnt man das Ding und dann denkt man irgendwie, okay, ha, ha. Ja, so, jetzt alles gut, ne? Ah, nee. Und dann geht eben Litigation-PR los, in so einem politisch aufgeladenen Umfeld, versucht natürlich dann auch die Gegenseite, jede Niederlage zum Sieg zu machen. Und das war mir neu. Das war mir neu, durch welche Methoden das alles passiert, dass die Anwälte da auch für bezahlt werden, das zu machen und so. Und wie das verbreitet wird, auch gerade über Parteinetzwerke und so weiter. Also das war schon sehr spannend. Marie-Elisabeth Miersch:

Weil sie nämlich meinten, weil das kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nicht damit gerechnet haben, dass da, sag ich mal, das Feuer losgeht, aber wenn ich sie richtig verstehe, sondern was sozusagen auch von der Gegenseite...

Thorsten Feldmann:

Ja, ich will da jetzt niemanden an die Karre fahren, aber das war schon, also ich hab gedacht so, wenn du die Verfahren gewinnst, dann ist der Job gemacht. Nee, aber dann kam halt danach Fragen, ja, wie war das denn in den Verfahren und habt ihr jetzt verloren oder habt ihr jetzt gewonnen oder, oder? Das muss man dann irgendwie auf einmal erklären, über zwei Instanzen gewonnen und so. Eigentlich ist die Sache ja klar.

Marie-Elisabeth Miersch:

Wir haben schon jetzt ein paar Einblicke natürlich bekommen, welche Fälle Sie eher vertreten. Könnten Sie sich auch vorstellen, die Gegenseite zu vertreten?

Thorsten Feldmann:

Oh, das ist, das ist jetzt wieder so eine anwaltsethische Frage, ne? Also das muss jeder Anwalt für sich entscheiden, also ich Ich persönlich bin nie in eine Art von Abhängigkeit geraten, dass ich bestimmte Leute auch immer vertreten musste aus Gründen. Da bin ich auch sehr glücklich drüber. Es ist letzten Endes eine Frage der persönlichen Meinung. Also würde ich jemanden von der AfD vertreten? Ich persönlich würde es wahrscheinlich nicht tun, aus anwaltsethischen Gründen. Aber auf der anderen Seite ist die Anwaltsethik... gebietet einem eigentlich auch, dass man sagt, der muss aber auch jemanden finden, der ihn verteidigt. Und hat einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, da rede ich nicht mit, mache ich mir einen schlanken Fuß, sage ich: es gibt ja genug Szeneanwälte, also muss ich ihn ja nicht machen. Das ist eine sehr tiefgehende Frage. Die ich für mich, für mich so beantworten würde, können wir gerne lange drüber sprechen, lange drüber diskutieren. Ich mache niemanden einen Strick draus, wenn er so jemanden vertritt und das auch professionell macht mit der professionellen Distanz. Wenn er sich mit dem gemein macht, dann nehme ich es ihm übel.

Marie-Elisabeth Miersch:

Können Sie irgendwas noch dazu sagen? Wie steht es denn gerade bei Correktiv? Sind da jetzt alle Verfahren abgeschlossen? Kommt da jetzt noch was? Laufen da auch noch welche?

Thorsten Feldmann:

Laufen noch welche, also dieser erste Sturm, der ist überstanden. Zwischendrin hat einer der Prozessgeber eine Spendenaktion gemacht auf GoFundMe, der hat dann irgendwie 90.000 mehr als 90.000 Euro eingesammelt von seinen Gesinnungsbrüdern, ist auch öffentlich. Und jetzt hat er wieder angefangen zu klagen. Und die sind hier bei uns. Es wird dann weniger Zeit jetzt in nächster Zeit dazu. Ja, nein, ich bin sehr zuversichtlich, weil ich habe manchmal den Eindruck, dass aber auch... Das ist ja auch legitim, dass man, um die Meinungsherrschaft in einem Bereich zu haben, sagen kann, ja, dagegen gehen wir aber immer noch vor. Ja, das nehmen wir immer nicht hin. Also das ist schon ein starkes Argument, wenn man das ja... da ist ein Artikel in der Welt, der sagt das und das und dann der Betroffene natürlich sagen kann, ich klage ja dagegen. Ja, dann ist das ja schon mal ein starkes Gegenargument in dem Moment. Das mag, ich kenne die Intention, von den Klägern, es sind zwei, in dem Fall nicht, aber... abstrakt betrachtet, wäre das eine Erklärung, warum die da noch weitermachen wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die das gewinnen, aber das ist eine andere Frage.

Marie-Elisabeth Miersch:

Vielleicht nochmal als Schlenker zum Grundgesetz. Unter welchen Voraussetzungen sind denn Einschränkungen der Pressefreiheit überhaupt möglich oder manchmal auch notwendig, gerade bei kritischer Berichterstattung?

Thorsten Feldmann:

Das ist schon ein ganz gutes Konzept im Grundgesetz. Das sagt also die gesamte Bandbreite der Pressetätigkeit, Medientätigkeit ist ja nicht mehr Presse, der medialen Tätigkeit ist geschützt, also von der Recherche bis hinten, also Recherche, Produktion, Verbreitung und so weiter, alles von der Pressefreiheit erfasst. Das ist schon mal sehr, sehr stark. Sie haben dann Im einfachen Recht abgesichert, dass durch Zeugnisverweigerungsrechte, durch... es darf nicht durchsucht werden, Redaktionsräume dürfen nicht so ein weiteres durchsucht werden. Sie haben Ausnahmen bei der Strafbarkeit, zum Beispiel Anstiftung zum Geheimnisverrat gibt's nicht und so. Also das ist eigentlich, eigentlich schon ganz gut. Wo werden da, wo wird da immer mal wieder dran gekratzt? Also das ist, glaube ich, weniger bei der Presse, besonders bei den freien Medien. Tatsächlich, also so einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, muss man sich angucken, der steht natürlich da immer unter Druck, da geht es ums Geld. Und da ist dann die Frage, wie weit geht denn die Finanzierungsgarantie? Und ich glaube, es geht dann eher darüber. Es geht dann eher darüber und dürfen denn, wir hatten eine Diskussion, dürfen öffentliche, rechtliche Rundfunkveranstalter überhaupt im Internet präsent sein? Ja, das war eine Frage. Und an solchen Sachen immer, das hängt meistens am Geld, in solchen Finanzierungsfragen entzündet sich es dann auch.

Marie-Elisabeth Miersch:

Zum Abschluss würde ich Sie gerne fragen, was war Ihr sehr schwierigster oder überraschendster Fall, den Sie betreut haben und warum?

Thorsten Feldmann:

Ach, das habe ich ja jetzt schon gespoilert, das war tatsächlich diese Benotung im Internet. Das ist jetzt 20 Jahre her, das war schon eine spezielle Erfahrung, diese geballte, auch sehr, sehr gut organisierte Lehrerschaft sich tatsächlich gegen mich zu haben, ja, auch, also gegen meinen Mandanten und dann, das waren aber sehr junge Menschen, die Mandanten, die konnte man nicht so offen auf so ein Podium hätte man die besser nicht gesetzt, deshalb haben die mal einen Anwalt vorgeschoben. Also das war, das war tatsächlich, das war eine sehr, sehr illustre Erfahrung, denn damals, das war ungefähr 2004, 2005, 2006 ging sehr schnell durch die Instanzen durch, gab es noch keine Bewertungsportale. Ja, das also, was wir heute mit auch im Kernbereich der Meinungsfreiheit eigentlich, ja, darf ich meinen, darf ich meinen Arzt, meinen Anwalt, meinen Immobilienmakler oder was, darf ich das bewerten? Das gab es alles damals noch gar nicht. Und dann kommt ausgerechnet irgendwie so ein Bewertungsportal für Lehrer auf den Markt. Und das war schon, das war schon sehr spannend damals. Auch da mit dem, zu der Zeit mit dem Internet sozusagen, wie ich mich äußern kann, das war ja, glaube ich, noch in den Anfängen des Internets, da hat man ja alles... Also da war zum Beispiel die Frage, eine der wesentlichen Fragen, die der Bundesgerichtshof dann positiv für uns entschieden hat, ist die Frage, darf man sich im Internet überhaupt anonym äußern? Oder verliert eine Äußerung ihre Kraft in der Abwägung, wenn sie anonym daherkommt? Das würde ich heute übrigens vielleicht ein bisschen anders sehen, als ich es damals gesehen habe.

Marie-Elisabeth Miersch:

Und wie haben Sie es damals gesehen? Damals habe ich gesagt, natürlich muss die anonyme Äußerung irgendwie erlaubt sein. Es mag aber auch damals schon Deformation professionell gewesen sein. Lieber Herr Feldmann, herzlichen Dank für das Gespräch und dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben. Das war Let's Talk About Recht, der Live-on-Tape-Podcast zur Gesprächsreihe der Stiftung Forum Recht. Schön, dass ihr dabei wart. Wenn euch das Gespräch gefallen hat, hört doch in die anderen Folgen rein. Für mehr Informationen und spannende Einblicke ins Recht folgt uns auf Instagram oder besucht uns auf unserer Website. Bis zum nächsten Mal.

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